Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

Beilage zum Rendsburger Wochenblatt Nr. 47. 
Mittwoch, den 18. April 1888. 
11) Die Schönheit von Browningham. 
Von Helme v. Götzendorff-Grabowski. 
Mr. Lovedale hielt nicht hinter dem Berge. „Es 
ist eine Bitte, Mr. Stedman, klein oder groß, je 
nachdem Sie die Sache auffassen. Es handelt sich 
hier um ein Bild, welches ich lange im Sinn trage, 
ohne die Ausführung zu ermöglichen, das will sagen: 
ohne die Hauptsache, das Antlitz, dessen es dazu 
bedarf, gefunden zu haben. Hier in Browningham, 
ganz unerwartet, fand ich es nun. Wollen Sie mir 
gestatten, Ihre Tochter zu malen, Mr. Stedman? 
Ich würde nicht darum gebeten haben, wenn Miß 
Stedmans Leben weiter hinginge, wie bisher, in 
dieser stillen Art; so aber, wo sie, wie wir Alle 
ahnen oder wissen, vor einer Umwandelnng steht, 
die vielleicht kaum eine schwache Aehnlichkeit an die 
ländlich-anmuthige Erscheinung von heute zulassen 
wird, halte ich meine Bitte nicht für unbescheiden. 
Ich möchte Miß Stedman malen, wie sie ist, oder 
besser noch, wie sie war, bevor wir Alle das 
Gartenhaus unsicher zu machen begannen. Da ist 
ein lichtbraunes Kleid, Mr. Stedman, und ein altes 
Gebetbuch mit silbernen Klammern; ich brauche dann 
noch ein Stück mit Moos bewachsene Mauer, einen 
Strahl des Abendsonnenlichts dazu, wie ihn, meiner 
Ansicht nach, nur Browninghain aufzuweisen hat, 
und meiu Bild ist fertig, das beste vielleicht, was 
der Pinsel Percy Lovedales jemals zu schaffen ver 
mag." 
„Ihre Bitte ist nicht die erste dieser Art, welche 
mir gestellt wurde, Sir," erwiderte der Obergärtner 
bedächtig, „und keineswegs unbescheiden. Sie haben 
recht: es wird in Browningham und draußen nicht 
lange mehr von der Sobeïdc Stedman die Rede 
sein, welche Ihnen heute Abend den Becher reicht. 
Ja, ja, das braune Kleid, die alte Bibel: nun 
kommen andere Zeiten! Vielleicht würden Sie Ihr 
Glück mit diesem Bilde machen; vielleicht ist es 
schade, daß es nicht gemalt und aufbewahrt werden 
kann. Aber, es kann nicht, Sir! Ich darf es in 
der That nicht gestatten. DaS Geschick meiner 
Tochter hat eine Wendung genommen, welche mich 
zwingt, in ihr nicht länger die „Gärtnerstochter" 
zu sehen. Diese muß vergessen werden, je eher, je 
lieber. Und es ginge auch ohne dieses nicht an, 
daß sie jetzt noch einem Maler säße. Es würde 
sich nicht schicken, wissen Sie." 
Das Antlitz des jungen Malers umdüsterte sich. 
Seine freundlichen Augen folgten der sich anmuthig 
im Garten hin und her bewegenden Gestalt de- 
Mädchens mit so bekümmertem Ausdruck, daß selbst 
de« Obergärtners nicht sonderlich gefühlvolle Seele 
sich davon bewegt fühlte. 
„So viel lag Ihnen daran, Sir?" fragte er. 
„Das dauert mich in der That! Sie hoffen wohl 
ernstlich, mit diesem Bild einen Preis zu erringen? 
Ich möchte Ihnen nicht gern den Weg zum Glück 
abschneiden. Wenn es möglich wäre, Sobeïdens 
Züge in soweit zu verändern, daß die Aehnlichkeit — " 
„Ich danke Ihnen, Mr. Stedman. Nach dem 
Gehörten stehe ich natürlich von meiner Idee völlig 
ab, hatte auch das Bild in diesem Augenblick ganz 
vergessen. Mein Sinnen galt einem anderen Ge) 
genstande. Sie sagten soeben, das Geschick Ihrer 
Tochter habe eine „Wendung" erhalten; wenn ich 
das richtig verstand, so bedeutet es: „Sie ist im 
Begriff, die Höhe zu ersteigen, für welche ich sie 
bestimnite." Antworten Sie mir nicht. Ich lese 
es auf Ihrem Gesicht, daß meine Worte in's 
Schwarze trafen. Ohne jemals eigcnnütze Absichten 
gehegt zu haben, empfand ich, wie Jedermann, von 
Anbeginn eine aufrichtige Zuneigung für dieses 
liebliche Naturkind, und nun ist mein Herz schwer 
im Gedanken daran, daß das neue Leben vielleicht 
nicht halten möchte, was es jetzt zu versprechen scheint!" 
Das Gesicht des Obergärtners nahm einen unan 
genehm überraschten, ärgerlichen Ausdruck an. 
„Sobcïden's Glück ist Sache der Personen, welche 
die Verantwortung dafür tragen, Sir," sagte er 
barsch. „Meine Tochter wird niemals auf die 
Theilnahme fremder Menschen angewiesen sein." 
„Ich meinte es gut mit meinen Worten, und 
Sie thun nicht recht daran, dieselben als eine Be 
leidigung aufzufassen," erwiderte der Maler ruhig. 
„Sie sollten am besten wissen, daß nicht alle 
Blumen auf gleichem Boden gedeihen und wie oft 
ein „Verpflanzen" das „Eingehen" der Blüthe zur 
Folge hat." 
„Das kommt auf die Hand an, welche es unter 
nimmt, Sir! Ungeschickte Hände sollten dergleichen 
allerdings lassen, aber ich bin ein Mann vom Fach. 
Ich verstehe mich auf „Veredelung," 
„Sei es. Ich will und kann Ihnen nichts 
mehr entgegnen, als zum letzten Mal die Warnung: 
Gehen Sie sorgsam zu Werk, Mr. Stedman. 
Opfern Sie Ihren Göttern nicht das Höchste, das 
Beste, was Ihnen der Himmel gab! Es könnte 
eine Stunde schwerer Reue kommen." 
Unbekümmert um das von Zorn geröthete Gesicht 
des Obergärtners griff Percy Lovedale nach seinem 
Hütchen und schlenderte durch den Garten, bis zur 
„Schönheit" hin, die sich an ihren Blumen zu 
thun machte. 
„Leben Sie wohl, Miß Stedman!" sagte er. 
„Vielleicht ist es das letzte Mal, daß wir einander 
gegenüber stehen, wie heute. Vielleicht darf ich 
Ihnen niemals wieder ein Wort ohne Zeugen 
sagen. Ich möchte aber, daß Sie meiner bisweilen 
gedächten, meiner und der Worte die ich jetzt sagen 
werde. Es ist mir bekannt, in welcher Art Ihr 
Geschick sich erfüllen soll, welche Stellung, welches 
Leben Ihrer wartet; sorgloser nnd glücklicher aber, 
als hier, glücklicher, als in dicscin Ihren Jugend 
paradies, werden Sie nie und nirgends in der 
Welt draußen sein. Bedenken Sie das, Miß 
Stedman! Wenden Sie nicht zu eilig dieser schönen 
Hcimath den Rücken! Prüfen Sie, was man Ihnen 
dafür zu bieten hat, und erkennt Ihr Herz es als 
unecht, dann seien Sie stark! Machen Sie Sich 
frei! Und noch Eines, Miß Stedman! Ich bitte 
Sie, diese kleine Karte von mir anzunehmen und 
sorgfältig aufzubewahren. Sie enthält die Adresse 
meiner Mutter nnd könnte Ihnen vielleicht einmal 
dienen, in Zeiten der Rathlosigkeit. Jeder dorthin 
gesendete Brief gelangt sicher in meine Hände, und 
ich — nun, Sie wissen, daß Sie mich niemals 
vergebens rufen würden." 
. Sobeïde hatte ernsthaft zugehört; sie verstand ihn 
nicht ganz, aber sie ahnte dunkel den Sinn seiner 
Worte und nahm gehorsam die kleine Karte ans 
seiner Hand, während sie mit leiser, bewegter Stinune 
entgegnete: „Ich danke Ihnen, Sir! Ich werde 
des heutigen Tages nnd Ihrer Worte gedenken, so 
oft mein Blick auf dieses Rosenbäumchen fällt. Wie 
kommt es nur, daß Sie Alle so gütig mit mir 
sind?" 
„Wie cs kommt? Sehen Sie, Miß Stedman, 
es ist wie ein Berhängniß. Wir müssen Sie eben 
Alle lieben. Aber so verschieden, als die Besucher 
Ihres kleinen Hauses selbst, so verschieden ist auch 
deren Liebe. Was die meinige angeht: 
„Ich liebe Dich, wie man Musik 
Und wie man liebt die Rose! 
Du bist mir wie ein Blick 
Ins Blaue, Wolkenlose - “ 
so singt ein deutscher Dichter. Und das ist meine 
Liebe für die „Schönheit von Browningham". 
Leben Sie wohl!" 
Er wendete sich und verließ eilenden Schrittes, 
ohne noch einmal umzublicken, den Garten — auf 
Nimmerwicderkehr. 
Sobe'tde blickte dem Maler träumerisch nach. 
Was er nur meinte? Was er von ihrem „Schicksal" 
wußte? Ja, es war schön in der Heimath — und 
noch schöner vermuthlich für die anderen Mädchen 
von Browningham, die auf kein „Schicksal" zu 
warten hatten, denen das altgewohnte, ländliche 
Leben wie ein ungetrübter Sommertag hinging, in 
fröhlicher Gemeinschaft. Wäre die reizende Gärtners 
tochter weniger mit unruhevollen Gedanken an die 
Zukunft, welche ihr selbst noch genau so unbekannt, 
als dem theilnehmenden Mr. Lovedale, beschäftigt 
gewesen, so hätte sie sich geschmeichelt oder doch zum 
mindesten belustigt fühlen müssen über das Interesse, 
welches die Gentlemen von Vaverne Castle sämmt 
lich für sie an den Tag legten. Es war ein ewiges 
Kommen und Gehen von ihnen: ein Jeder wollte 
sein Wohlwollen auch durch die That beweisen, ein 
Jeder ihrem Lebcnsschifflein die entscheidende Wen 
dung geben; in wessen Hand lag nun das echte 
Glück?! Während sie noch, in Gedanken verloren, 
am Rosenstrauch verharrte, traf ihr Blick ans eine 
langsam über die Wiese sich nähernde Männergestalt, 
in welcher sie bei schärferem Hinblicken den Gentle 
man E mit den durchdringenden Augen erkannte. 
Zweifellos war das Gärtnerhaus sein Ziel; er be 
suchte cS häufig, und niemals, ohne kleine, geschickt 
gewählte Gaben für den Obergärtner — ein seltenes, 
geschnitztes Messer, einen schönen Pfeifenkopf oder 
dergleichen — mit sich zu führen, wodurch er in 
dessen Gunst von Tag zu Tag gestiegen ivar. Was 
Sobeide anging, so sah sie Sir Carteret gleichfalls 
gern. Mit den, feine» Instinkt des WeibeS in Ge 
fühlssachen hatte sic längst hcransgefunden, daß 
dieser Gast ihre Schönheit nicht ansah, wie die 
übrigen es thaten. Sein Wohlgefallen äußerte sich 
in einer gleichmäßigen, milden Herzlichkeit, welche 
etwas väterlich Patronisirendes an sich trug; er 
war eben ganz das Gegentheil von einem Liebhaber. 
Sobcïde hörte ihn gern reden, denn sie verstand ihn 
am besten, und er hatte immer ein gutes Wort, ein 
scherzhaftes Geschichtchcn für sie, nnd cs trat alle 
mal ein so schöner, treuherziger Ausdruck in seine 
strengen Augen, ivenn er zu ihr kam und sein 
„Guten Tag, Beauty" sagte. 
Diesmal schien der Besuch Sir Thomas Cartercts 
lediglich dem Obergärtncr zu gelten. 
„Schöner Tag heute, Beauty," sagte er nur mit 
flüchtigem Lächeln im Vorübergehen. „Ist Mr. 
Stedman noch daheim? Ah, ich sehe ihn bereits." 
Der Genannte war noch immer nicht ganz zur 
Ruhe gekommen über des Malers Dreistigkeit, des 
halb sah er dem dritten Gast dieses Nachmittags 
ein wenig ungeduldig, fast ungnädig entgegen, ob 
schon es Sir Carteret war. Derselbe blickte heute 
gleichfalls ans gedankenvolleren Augen als gewöhn 
lich, genau so, als komme auch er in einer be 
sonderen Angelegenheit. Und der „besonderen An 
gelegenheiten" war der Obergärtner nachgerade übcr- 
drüssig geworden. (Fortsetzung folgt). 
Kleine Ged an ken splitter. 
Was thust Du Dir init Denken weh? 
Tritt mit Tenören in die Schranke! 
Denn heute ist ein hohes 0 
Rentabler als ein hoher Gedanke.
	        
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