Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

ì' *' i 
Beilage zum Rendsburger Wochenblatt Sir. 3. 
Freitag, den 6. Januar 1888. 
Im Manne der Verhältnisse. 
Roman von Theodor Mügge. 
„Jst's nicht so?" fragte Malhis, näher 
hinkend, indem er die Gesellschaft ansah und 
eine Art Verbeugung machte, wobei er den 
Bräutigam angrinste, „Verlobung ist heute, 
gnädiger Herr?" 
„Was plauderst Du aus!" lachte Rachau. 
„Haben Sie mich nicht dazu eingeladen?" 
fuhr Mathis fort. 
„Du hast Recht," fiel Rachau ein. „Geh' 
in die Küche und laß Dich speisen!" 
„Danke Herr," versetzte Mathis, indem er, 
statt dem Befehl zu folgen, noch näher trat. 
„Nehmt's nicht ungnädig, ich bringe hier mein 
Verlobungsgeschenk." — Dabei faßte er in 
seine geflickte Jacke und zog etwas hervor, 
das er aus den Tisch warf. — Jeder sah 
darauf hin; es klang, als sei es Metall, aber 
es sah schwarz und rostig aus, und seiner 
Gestalt nach war es ein kleiner Hammer mit 
scharfer Spitze. 
Rachau zuckte mit der Hand danach hin, 
sogleich aber zog er sie zurück und iah unbe 
fangen das sonderbare Geschenk und den 
Geber an. „Was soll das bedeuten?" fragte 
er. „Was ist das?" 
„Blickt nur hin," fuhr Mathis laut und 
höhnend fort, „ich denke, Ihr werdet es wohl 
kennen." 
Der Major stierte den Hammer mit scheuen 
Blicken an. Er griff auch danach und ließ 
ihn wieder fallen. „Mir gehört er nicht!" 
schrie er auf und sank in den Stuhl zurück. 
„Nein," sagte Mathis, „es steht ein N am 
Stiel eingegraben. Ihr müßt's am besten 
wissen, Herr. Jst's nicht dasselbe Ding, das 
Ihr unter dem Stein verbargt?" 
„Wir haben es ohne Zweifel mit einem 
Narren oder Wahnsinnigen zu thun!" ant 
wortete Rachau umherblickend. 
, «Nicht mit einem Wahnsinnigen, aber mit 
emem Schurken!" antwortete ihm eine eben 
so ruhige, als volltönende Stimme. 
«Mein Sohn! mein Sohn!" murmelte der 
Major, seine Arme ausbreitend. Aufzustehen 
vermochte er nicht. Mit weit offenen Augen 
saß er da, von Luisens Armen umschlungen. 
Was weiter vorging, glitt wie Traumbilder 
an ihm vorüber. Er sah den Doctor Gott 
berg neben seinem Sohne, sah, wie er vor 
Rachau trat, als wüchse er auf und würde der 
Engel des Gerichts. Er sah auch, wie Rachau 
sich erhob in seiner Ueberraschung, sich nieder 
setzte uyd wieder ausstand und wie er ver 
ächtlich zu lächeln versuchte, als Gottberg zu 
ihm sprach: „Zweifeln Sie nicht daran, daß 
die Slunde da ist, wo Sie Rechenschaft geben 
sollen!" 
„O," erwiderte Rachau, „ich zweifelte von 
Anfang an nicht, daß dies Ihr Werk sei; aber 
es ist ein Gewebe von Lügen, das ich zer 
reißen werde. Sie sind dazu eingeladen 
worden," wandte er sich an den Ministerial- 
rath — 
„Um einen Elenden zu entlarven, der sich 
hier eingeschlichen hat, unterbrach ihn dieser. 
„Sie sind getäuscht und betrogen worden." 
„Keine Frechheit kann Sie retten," sagte 
Gotlberg. „Die Rache Gottes und der Mensch 
heit ist an Ihren Fersen. Dort liegt der 
Beweis Ihrer Verbrechen, und hier — kennen 
Sie dies Notizbuch?" 
Rachau zuckte zusammen, einen Augenblick 
verfärbte er sich. — „Das ist in der That 
ein seltsamer Austritt," sagte er dann, gelassen 
umherblickend. „Ich habe dieser edlen Familie 
einige Dienste erzeigen können, dafür sucht 
man mich zu beschimpfen. Wehe aber dem, 
der meine Ehre anzutasten wagt! Der Irr 
thum, welcher hier stattfindet, soll sogleich auf 
geklärt werden. Diesem Herrn Doctor, der 
sich herausnimmt, Rechenschaft von mir zu 
fordern, bin ich keine schuldig; ich verachte 
seine Verläumdungen! Ihnen jedoch, Herr 
Ministerialrath von Brand, gebe ich diese gern 
und auf der Stelle. Begleiten Sie mich!" 
Er sprach mit solchem Anstande, solcher 
Ruhe und Würde, daß die bange, erschrockene 
Gesellschaft nicht wußte, was sie denken sollte. 
Sie konnte das Böse, was sie hörte, nicht von 
einem Manne glauben, den sie so hoch schätzte 
und der mit solcher Kraft der guten Sache sich 
vertheidigte. Bestürzt und prüfend blickten 
alle auf die Streitenden. Niemand wußte, 
welcher Verbrechen Herr von Rachau eigentlich 
beschuldigt würde; was man gesehen und ge 
hört, gab kein rechtes Licht, und der Major 
sah aus, als verstände er auch nichts davon. 
Keiner rührte sich daher, als Rachau bei 
seinen letzten Worten einen der Armenleuchter 
vom Tische nahm und sich dem Seitenzimmer 
näherte. Niemand hinderte ihn daran. Der 
Ministerialrath von Brand that einige Schritte, 
bei denen er zu überlegen schien; in dem Augen 
blick aber, wo Rachau sich umwandte und, 
den Leuchter in der Hand, die Gesellschaft 
lächelnd noch einmal anblickte, schlug dieser 
die geöffnete Thür hinter sich zu und war 
verschwunden. 
Alles war in einer Minute geschehen, jetzt 
sprang der Ministerialrath herbei und rüttelte 
am Schloß. Der Nachriegel war vorgeschoben. 
„Haltet ihn!" schrie Gottberg, aus dem Saal 
eilend, und hinter ihm her liefen die Gäste. 
Stühle wurden umgeworfen, der Tisch wankte, 
eine unbeschreibliche Verwirrung entstand, und 
das Gekreisch der Frauen wurde durch den 
Lärm rauher Stimmen im Garten beantwortet. 
Plötzlich fiel ein Schuß, gleich darauf ein 
zweiter, ein wildes Geschrei schallte nach. 
Bleich und entsetzt stand Luise auf, ihr Vater 
mit ihr. Der Ministerialrath umfaßte sie Beide. 
„Hoffentlich hat er sich erschossen," sagte er 
leise. „Besseres könnte uns nicht geschehen." 
„Gottberg!" sagte Luise angstvoll. 
Mathis stampfte auf seiner Krücke herein. 
„Fortlaufen wird der junge Herr nicht mehr," 
schrie er. „Wie er zum Fenster hinaussprang, 
war auch der Müller mit seinen Knechten da; 
ich will's aber doch nicht behaupten, daß sie 
ihn gefangen hätten, wenn der Doctor nicht 
gekommen wäre. So wie er den sah, kehrte 
er sich um und drauf los, und wie er die 
Pistole heraus holte, weiß ich nicht, aber er 
schoß ab." 
„Wo? wo?!" rief Luise, indem sie ihren 
Vater verließ und der Thür zueilte; und ihre 
Arme ausbreitend, sank sie in Gottberg's 
Arme, den Toni hereinzog. — „Da ist er!" 
schrie das Kind. „Er lebt! Kein Finger thut 
ihm weh. Der böse Rachau hat ihn nicht 
todtmachen können." 
„Ne," sagte Mathis, „draußen liegt er aber 
selber mit einem Loch im Kopfe, das nicht 
wieder heil wird. Wie er sah, daß er gefehlt 
hatte, setzte er sich das Ding an seine eigene 
Stirn, und diesmal ging's." 
„Ist er todt?" fragte der Major, als wache 
er auf. 
„Mausetodt," sagte Mathis. 
„Und der Hammer dort!" sprach der alte 
Mann, indem er seinen gewaltigen Körper 
aufrichtete. „Bei Gott! bei meiner Ehre, ich 
kenne ihn nicht! Kein Flecken haftet auf meiner 
Ehre, mein Sohn!" 
„Ich weiß es, theurer Vater. Niemals war 
sie befleckt." 
„Nicht?" fragte er, die Hand an seine 
Stirne legend — „aber dennoch" — ein 
Schauer flog über ihn hin — dennoch war eS 
mir, als ob ich es sein müßte — als ob fei 
Mensch daran zweifeln könnte, als ob sie all 
schreien müßten: seht da den Mörder! de 
Mörder! — Und mein Kind, mein eigen Kin 
— Herr mein Gott! auch mein Kind glaubte es! 
„Vergieb, o vergieb!" flehte Luise, abe 
wiffe, bester Vater, daß ich in jener Nacht 
als Milkens todt in seiner Kammer lag, ai 
der Thür stand, als Rachau Dir — di 
Wunde zeigte." 
„Und wie war ich dahin gekommen?" stöhnt 
der alte Soldat. „Satans Blendwerk wa 
es, Gier nach Geld und Gut war über mi 
gekommen, und ich — ich — ich wollte mei 
Kind verkaufen, mein Kind! Der Teufel hatt 
mich, er zog mich Schritt für Schritt in sein 
Hölle." 
„Gottberg's treue Liebe und Freundscha 
hat Dich erlöst, Vater, er hat uns Alle erlöst, 
unterbrach ihn der Sohn. 
„Ewig sei es ihm gedankt!" rief der Major! 
„An mein Herz, mein Sohn, Du sollst Dick 
nicht mehr von uns trennen." 
„Dank verdient Mathis allein," sagte Got. 
berg, auf den Bettler zeigend, der vergesse: 
im Winkel stand. „Ohne seine Hülfe wär 
Alles vergebens geblieben. Er sah den Mor 
den Rachau beging, mit an, als er verste 
unter den Tannenzweigen lag; sah, wie e 
Milkens blitzschnell niederschlug, als diese 
seinen Hut in der Hand sich arglos bückti 
sah, wie er das Mordinstrumenl und da 
Notizbuch des Ermordeten unter dem große, 
Stein verbarg; und was auch dazwischen lieg! 
bis zu dieser Stunde, er ist eines Engel! 
Stimme gefolgt und hat der Wahrheit di> 
Ehre gegeben." 
Der Major ging auf Mathis zu und nah, 
dessen Hand in seine Hände; so bittend un 
reuig sah er ihn dabei an, daß es dem Bettle 
ganz weich und weh um's Herz wurde. „Ma 
this," sagte er dann, den Kopf senkend, „vers 
gieb mir, was ich an Dir gethan. Ich bill 
Dich, Mathis, nimm meinen Dank an, un 
wenn Du es haben willst, was Du heut gej 
sagt, will ich's auf meinen Knieen thun." 
„Herr! Herr!" antwortete der Bettler i 
seinem Stolz und aus voller Brust, „es si! 
uns beiden geholfen. Dankt's dem Gotteêş 
engel da und macht ihn glücklich!" 
Rachau hatte sich mit der Waffe getobte! 
die einst dem unglücklichen, furchtsamen Wil^ 
kens gehört hatte. Der Ministerialrath schafft 
die geputzten Menschen aus dem Hause, welch 
4;
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.