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No. 28.
Wontag,
1888.
Das Befinden des Kronprinzen.
Die ungünstigen Gerüchte über den Gesund
heitszustand des Kronprinzen wollen nicht ver- ,
stummen. Namentlich die auswärtige Presse, auch
selbst die „Köln. Ztg.", registrirten eine ganze An
zahl der wildesten Alarmgerüchte, die über den Zu
stand des Kranken in San Remo kolportirt
werden. Wir enthalten uns der Wiedergabe dieser
Sensationsnachrichten um so lieber, als sie im
Widerspruch stehen zu den amtlichen Bulletins, die
sämmtlich hoffnnngsfreudiger lauten.
Tau Remo, 1. März. (B. T.) Man erzählt
sich Details angeblicher Scenen zwischen den ein
zelnen Gruppen von Aerzten, welche ihrem
gegenseitigen „octinm inoàloum" in nicht gemäßigten
Worten Luft gemacht hätten; da soll der eine krön-
Prinzliche Arzt einen andern hierher berufenen Spe
zialisten weder gesehen noch gesprochen haben, auch
hätte er mit ihm zu konsultiren sich geweigert. Man
erzählt peinliche Einzelheiten, wie der Eine grollt,
der Andere schmollt; wie eine sehr hohe Persön
lichkeit selbst vor allen Leuten sich veranlaßt gesehen,
den einen abseits bleibenden Arzt gleich dem schmollen
den Archilles ans seinem Hotel abzuholen und lange
mit ihm in ernstem Gespräche verweilt habe, worauf
der betreffende Arzt trotz seiner ursprünglichen
Weigerung doch zur Morgenkonsultation nach der
Villa Zirio gegangen sei, wo er mit den Kollegen,
obgleich mit Ausschluß eines einzigen von ihnen,
konsultirt hätte. Man erzählt, wie die Aerzte über
verschiedene sehr wichtige Punkte sich geradezu
m den Haaren lägen und die entgegengesetzten An
sichten verfochten hätten. Man kolportirt ferner,
daß einer der Aerzte vor einigen Nächten aus Un
erfahrenheit oder Mangel an Geschick beinahe das
größte Unglück verursacht hätte, tvelches nur durch
einen andern rasch geweckten und herbeigeholten
Kollegen hätte verhütet werden können. Alles das
und noch mehr wird von den Leuten auf der Straße
laut, Jedem, der es hören will, erzählt. Wie wenig
oder wie viel davon Anspruch auf ernstere Beachtung
hat, ist leider zu kontroliren jetzt ganz unmöglich.
— Der „Reichs-Anzeiger" veröffentlicht am
Freitag folgendes Bulletin aus San Remo:
San Remo, 2. März, 11 Uhr 45 Minuten
Bormittags. Nach einer guten Nacht ist auch
heute das Befinden Sr. Kaiserlichen und König
lichen . Hoheit des Kronprinzen besser und die
Stimmung gehoben. Der Appetit hat in den
letzten Tagen zugenommen, Husten und Auswurf
wie bisher.
Mackenzie. Schrader. Krause. Hovcll. Bramann
® #n J Rcra °, 2 ' März. Der Kronprinz er-
schren Mittags auf dem Balkon und wurde vom
Publikum durch Schwenken der Hüte und Tücher
freudig begrüßt. Er dankte durch Abnehmen des
Hutes. Der Kronprinz promenirte eine Zeit lang,
setzte sich dann in einen Lehnstuhl und las Zeitungen.
Seine Haltung ist aufrecht. Wir haben warmes
Wetter und wolkenlosen Himmel. Der Patient soll
gut geschlafen haben.
— Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht am Sonn
abend folgendes Bulletin ans Sau Remo:
San Remo, 3. März, 10 Uhr 30 Min. Vorm.
Die Wiedergewinnung der Körperkräfte Sr. Kaiser
lichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen macht
Fortschritte; Höchstdieselbcn bringen einen Theil des
Tages auf dem Balcon zu. Schlaf und Auswurf
wie früher.
Mackenzie. Schrader. Krause. Hovell.
v. Bergmann. Bramann.
Vorstehendes Bulletin ist zum ersten Male wieder
auch durch Prof. v. Bergmann unterzeichnet, nach
dem letzterer seit Montag die Bulletins nicht mehr
unterzeichnet hatte.
— Vom Freitag werden noch folgende Einzel
heiten gemeldet: Es herrschte prächtiges Frühlings
wetter, tvas auf den Zustand des Patienten günstig
einwirkte. Der Kronprinz hatte gut geschlafen, der
Appetit und die Stimmung waren besser. Nach
dem Morgenbesuch der Aerzte stand der Kronprinz
auf. Alle auf den Balkon mündenden Salonthüren
wurden geöffnet, ein Windschirm und ein Sessel
hinausgebracht. Gegen 10 Uhr erschien der Kron
prinz auf dem Balkon ini braunen Mantel und
einem weichen Hütchen. Die Kronprinzessin begleitete
ihn. Der Kronprinz ging auf dem Balkon mehr
mals auf und ab, die Grüße des Publikums mit
Lüften des Hutes erwidernd. Die Haltung war
aufrecht, der Vollbart ist unversehrt. Zuerst leistete
Mackenzie dem Kronprinzen Gesellschaft, nachher
erschien Prinz Wilhelm und begrüßte den Vater niit
Umarmung, Nachmittags erschien der Kronprinz
wiederum von 1—2 Uhr mit der Kronprinzessin
und den Töchtern auf dem Balkon und nochmals
von 3—3'/ 2 Uhr in Gesellschaft Mackenzies. Meist
saß der Kronprinz in den Mantel gehüllt hinter
einem Windschirm im Sessel und las Zeitungen.
— Ein Extrablatt des „Reichs-Anzeigers" ver
öffentlicht das folgende Bulletin:
San Remo, 4. März, 10 Uhr 50 Min. Vorm.
Der Zustand Sr. Kaiserlichen und Königlichen
Hoheit deS Kronprinzen ist unverändert.
Mackenzie. Schrader. Krause. Hovell.
von Bergmann. Bramann.
San Remo, 4. März. Es wurde beschlossen,
das Resultat der mikroskopischen Untersuchungen des
Herrn Professor Waldeyer jedenfalls nicht zu
publiciren.
— In einer gefährlichen Situation soll
sich, nach dem Bericht mehrerer Zeitungen, der Kron
prinz um Mittwoch-Abend befunden haben, weil
während eines starken Hustens die Kanüle aus der
Luftröhre geflogen war, und der wachthabende Arzt
in den Manipulationen damit nicht Bescheid wußte;
es konnte noch rechtzeitig ein zweiter Arzt geweckt
werden.
— Die gestrige Abend-Ausgabe der „Nordd.
Allgem. Ztg." giebt nachstehende Meldung des be
kannten Kopcnhagener Blattes „Politiken" wieder:
„Der Kronprinz hat in den letzten Tagen sein
Testament für alle Fälle gemacht, ebenso ein po
litisches Testament für seinen Sohn, den
Prinzen Wilhelm." Das Blatt „Politiken"
zeigt sich gewöhnlich gut unterrichtet; cs ist auch be
zeichnend, daß die „Nordd. Allg. Ztg." diese Mel
dung wiedergiebt. Weiter wird von den „Politiken"
gemeldet: „Augenzeugen aus San Remo berichten,
daß die Leiden der letzten Wochen dem Kronprinzen
ein um viele Jahre älteres Aussehen gegeben haben:
der Bart ist ganz weiß, und er ist gleichfalls sehr
mager geworden. Der einst so kräftige Mann
wiegt jetzt kaum 70 Kilo.
Petersburg, 4. März. Der „Grashdanin" be
hauptet, daß der Prinz F e r d i n a n d v o n K o b u r g
die Absicht hege, behufs Umstimmung Rußlands
zum orthodoxen griechisch-katholischen
Cultus überzutreten; Rußland würde ihn trotzdem
niemals anerkennen, da der Prinz in Wirklichkeit
Bulgarien die Union bringen und es dem Papst
unterwerfen wolle.
Bulgarien. Die Nachricht von der Einberufung
einer Konferenz zur Erörterung der bulgarischen
Angelegenheit wird schon wieder in Abrede gestellt.
Die „Nordd. Allg. Ztg." erklärt officiös, „daß
alle umlaufenden Nachrichten über eine beabsichtigte
Konferenz in der bulgarischen Sache völlig un
begründet seien. Bon keiner Seite sei ein
Wunsch nach einer solchen Konferenz oder auch nur
eine Anregung dazu kundgegeben tvorden."
Wien, 1. März. Ende Februar wurden hier
Gräfin Mathilde Schmettow und deren beide
Töchter Desirö und Mathilde verhaftet und dem
Landgerichte eingeliefert. Die Gräfin Schmettow
wird von Jnsbruck, woselbst sie einem Juwelier
Waaren herausgelockt hat, steckbrieflich verfolgt. Auch
von Dresden traf ein Steckbrief gegen die gräfliche
Familie ein, welche zunächst nach Innsbruck abge
liefert werden dürfte. Gräfin Schmettow stammt
aus einer aristokratischen Familie in Ungarn und
war mit einem dort eingewanderten Deutschen ver-
heirathet, bei dessen Tode sie mittellos zurückblieb.
Paris, 1. März. DaL heute gegen Wilson
erlassene Urtheil hat in parlamentarischen Kreisen
höchlichst überrascht. Deputirte aller Parteien, von
Cassagnac bis Clovis Hugues, und selbst seine er
bittertsten Feinde, halten das Urtheil für zu streng.
Wilson wird Berufung einlegen.
Paris, 1. März. Der „France" wird aus
Saint-Mihiel vom gestrigen Tage berichtet: „Letzten
Dienstag hat sich ein sehr ernster Fall in Saint-
Mihiel zugetragen Eine Eskadron des 6. Jäger
regiments, etwa hundert Mann, hat das Haupt-
quartier früh Morgens verlassen und ist aus-
gerissen. Große Aufregung. Der Eskadronschef,
welcher interimistisch das Regiment kommandirt,
tvird sofort benachrichtigt und sendet den Flücht
lingen eine Eskadron nach. Erst nach achtstündigen:
Reiten konnten alle Flüchtlinge zurückgebracht werden.
Gleichzeitig war eine Depesche nach Commercy an
den kommandirendcn General der Kavallerie-Brigade
des 6. Korps abgeschickt worden. Dieser General
ist nach Saint-Mihiel gekommen und hat die so
fortige Einsperrnng einer gewissen Anzahl der
Rädelsführer angeordnet. Welches war die Ursache
dieses Handelns? Man sagt, die Jäger klagen dar
über, daß sie von ihren Vorgesetzten mißhandelt
werden.
Rom, 2. März. Die gestrigen Unruhen scheinen
doch bedeutender gewesen zu sein, als zuerst ange
nommen wurde. Beispielsweise wurden B r o d -
lüden in nächster Nähe des Korsos, in der Via
Frattina, gestürmt, ebenso wurde ein Juwelier-
laden am Foro Trojano durch Diebcsgesindel ge
plündert, welches die Arbeiter-Manifestationen zu
seinen Zwecken ausnützte. Wenn beim Ansturnr
der Arbeitermassen auf das Kapitol und gegen das
Militär nicht furchtbares Unglück geschah, so war
dies dem sozialistischen Deputirten Costa.zu ver
danken, dessen Autorität der hungrigen und tobenden
Menge allein noch imponirte. Unter den Ver
wundeten von gestern soll sich Ricciotti
Garibaldi befinden, derselbe ist angeblich durch
einen Bajonnetstich verletzt. Dreihundert Ar
beiter wurden verhaftet. Abends käm es
bei der Via Nationale wieder zu einem Zusammen
stoß zwischen Arbeitslosen und den Truppen. Die
Gesammtzahl der Arbeitslosen betrügt über 20000,
es sind überwiegend Familienväter. Laut Meldung
des „Popolo Romano" wird die römische Garnison
heute durch Truppen aus der Provinz verstärkt.
Die Konimune und die Regierung thun Schritte,
um schnellstens öffentliche Arbeiten einzuleiten. Das
gcsammte Geschäftsleben Roms leidet bitter unter
dieser Arbeiterkrise und der dadurch hervorgerufenen
Uusicherheit.
Brüffel, 28. Febr. Ein blutiges Ehedrama
hat sich in vergangener Nacht auf dem Boulevard
Anspach abgespielt. Die Frau eines Kafsirers in
dem größten Modewaaren-Geschäfte Brüssels, hatte,
von Eifersucht und Rachegeist getrieben, ihrem Manne
vier Stunden lang auf offener Straße aufgelauert.
Als dieser kurz nach 3 Uhr, nachdem er vorher
seine Maitresse entlassen, aus einem Wirthshause
heraustrat, gab es einen heftigen Wortwechsel
zwischen den entzweiten Ehegatten, der damit endete,
daß die wüthende Frau einen Revolverschuß auf
ihren Mann abfeuerte, durch den dieser lebens
gefährlich am Kopfe verwundet wurde. Das
jämmerliche Geschrei des Verwundeten rief die
Polizei herbei, welche die Frau weinend auf ihrem
Opfer liegend fand und reuevoll rufen hörte: „Mein
Gott! ich habe ihn umgebracht!" Sie wurde ver
haftet.
In Villcjo in Kalifornien explodirte am 27. v.
M. der Kassel des Dampfbootes „Julia", während
das Schiff mit fünfzig Personen an: Bord über
den Fluß fuhr. Nahezu vierzig Personen sind ge-
tödtct, die übrigen verwundet worden. Das Boot
wurde derart zertrümmert, daß von demselben keine
Spur vorhanden ist.
Christiania, 1. März. Eine große Verwüstung
soll in Folge eines großen Brandes in der Stadt
Bergen angerichtet worden sein. Mehrere S.adt-
theile waren Donnerstag abends stark bedroht.
Bergen ist nächst Christiania die volkreichste. Stadt
Norwegens. Es hat 47 000 Einwohner und die
Häuser sind zumeist von Holz.
Bern, 2. März. Die bekannte Spitzel-
Affaire wird im Gerichtssaalc ein Nachspiel haben.
Ein Zürcher Blatt hat nämlich den Polizeihaupt
mann Fischer beschuldigt, daß derselbe ans den
von ihm geführten Untersuchungsakten gegen die
Anarchisten eine Anzahl von Aktenstücken zurückge
zogen und den Titel derselben im Verzeichniß auS-
radirt hätte. Polizeihauptmann Fischer erläßt in
Folge dessen eine Erklärung, daß er gegen jenes
Blatts eine Verleumdungsklage anstrengen werde.
Zugleich konstatirt er, daß die Untersuchung gegen
die Anarchisten fortdauere und daß die beiden Ab
geordneten Bebel und Singer im deutschen Reichs
tage die Wahrheit gesprochen haben.
Berlin, 3. März. (H. N.) Im Reichstage wird
vom Abg. Kulemann, untersttitzt von der natio
nalliberalen Partei, ein Antrag eingebracht, die ver
bündeten Regierungen zu ersuchen, ein Gesetz vor
zulegen, durch welches eine durchgreifende Er-
21) Der lateinische Wauer.
Erzählung von Hieronymus Lori».
Der Nebel war zerflossen, eine beglückende Wahr
heit brach sonnenklar hervor. Die ganze Seele von
Freude durchströnit, vermochte Isidora kaum einen
Äubelschrei zurückzuhalten. Er liebte sic, und die
entsetzliche Kälte und Frcrndheit seines Wesens war
nichts, als die Bitterkeit, der Grinun einer zun:
Schweigen sich verurtheilenden Eifersucht. Ein Wort
bon ihr und das chimärische Ungeheuer dieser Eifer-
şucht war in nichts zerstoben. Nein, ein Wort
genügte nicht, sie mußte Alleö sagen können, Alles,
was in ihr vorangegangen war seit der ersten Be
gegnung mit den: Grafen bis zu diesem Augenblick.
Der Wagen rollte schon dem Hanse zu, jetzt war
chcht die Zeit, nicht der Ort, aber die Sonne sollte
ņecht noch einmal untergehen, ohne die Wahrheit
gu den Tag gebracht zu haben. Um nur einen
Ausdruck für ihre freudige Erregung zu gewinnen,
sehnte Isidora ihr Haupt sanft an die Schulter
shses Mannes. Er zuckte zusammen, im nächsten
Momente schon erklärte er sich das Unerwartete als
e>ue Folge ihrer Ermüdung; eine Minute noch,
^std er spiegelte sich die Jllnsion einer inneren An
näherung vor, und bei dieser Illusion standen dem
starken Manne Thränen in den Augen.
, Der Oberknecht Kaltschlag harrte ungeduldig
!e:nes Herrn und trat mit demselben zur Seite,
sobald er aus den: Wagen gesprungen war. Beide
Erschlossen sich hieranf für mehrere Stunden im
^chreibgemach Melchior's. Isidora fand auf ihrem
Arsche einen während des Tages angelangten Brief.
s,r war aus Paris und trug die Handschrift der
Komtesse Isidora. Diese hatte ihre Freundin noch
nicht beglückwünscht, weder zur Verlobung, noch zur
Ehewathung, obgleich die Comtesse schon vor drei
Monaten von der neuen Schicksalswendung in
Kenntniß gesetzt worden war. Nach ihrer Art und
Wnse war die Comtesse dadurch nicht gehindert, den
vor wenigen Tagen geschriebenen Brief mit der
Versicherung zu beginnen, sie beeile sich, zu der
soeben in Erfahrung gebrachten Verlobung zu gra-
tuliren, und wäre noch besonders dadurch erfreut,
daß sie soeben auch die einen Monat später voll
zogene Vermählung in Erfahrung gebracht habe.
„Seit Du Braut warst", hieß es weiter, „hab
ich Dir jeden Tag in Gedanken einen großmäch-
tigen Brief geschrieben, und seit Du Frau bist, hab
ich ihn jeden Abend fortgesetzt. Du weißt, liebe,
ehrwürdige Matrone — ich muß Dich's doch büßen
lassen, daß Du mir vorgeheirathet hast —, mich
ergreift nichts leicht, ich aber ergreife ebenso schwer
die Feder. Jetzt aber giebt es kein Halten mehr,
denn ich habe soeben den jungen Grafen Sigismund
Oldfred vom rechten Thurm der Notre-Damc-
Kirche auf das Pflaster herabgestürzt. Da liegt er
und ist spurlos vernichtet. Du wirst also nicht
glauben, daß ich mit einen: spurlos vernichteten
Manne zum Altar treten werde. Glaube kein
Wort mehr von Allem, was ich Dir aus Ungarn
geschrieben habe. Denk Dir, der Baron Franz
Handeg ist auf die Pußta gekonimen. Er hat n:it
Onkel Kertmènyi Geschäfte gehabt. Der Franz
steckt bis über die Ohren in der Finanz. Da
sollte kein Platz sein, sich bis über die Ohren zu
verlieben. Ich habe wohl gemerkt, daß ich das
Wunder zu Stande gebracht, aber ich habe mir
nichts merken lassen. Wir sind bald darauf nach
Paris gereist, nachdem wir den Onkel und den Franz
unter einem Stoß Rechnungen zurückgelassen. Wie
ich vor dem Hotel Mama's in Paris aus dem
Wagen steige, ist mir einer behüflich. Wer? der
Franz. Er gehört seitdem zur Familie, und wie
wir zusanimcn heute die Notre-Dame-Kirche be
schauen — der Papa war auch dabei — erzählt
der Franz gerad heraus, sein theurer Freund, der
Graf Sigismund Oldfred, mit dem er ein Herz
und eine Seele, wäre der größte Schuft dieser Erde.
Er ziehe sich überall zurück, wo er spüre, daß kein
Geld zu fischen sei. Papa hat zustimmend genickt.
Der Oldfred soll sogar, wie Franz sagt, eine
Sattlermeisterstochter — an: Ende bist Du's,
mein Schatz — haben heirathen wollen und hat
sich im Augenblick zurückgezogen, als ihm der Franz
bewies, daß Papa Sattler zwar die Pferde satteln
kaun, aber selbst nicht gut beschlagen ist."
Isidora las den Brief vorläufig nicht zu Ende;
sie war nicht entrüstet, aber angewidert. Einen
Augenblick konnte ich glauben, diesen Menschen zu
lieben, dachte sie — mir graut; aber die Freundin
hat recht, er ist auch für mich „spurlos ver
schwunden."
Es giebt Momente, in denen man ein duftendes
Bougnet in der Seele zu tragen wähnt. Es kann
eine Erinnerung oder eine Hoffnung, eine That
oder auch nur ein Vorsatz sein -— immer kehrt man
von anderen Dingen mit Verlangen nach dem Duft
dieses einzigen Gedankens zurück. So schwelgte
Jsidora's Gemüth in dem Entschluß, zu welchen:
ihre Einbildungskraft immer wiederkehrte, am nächsten
Morgen eine befriedigende Erklärung n:it Melchior
herbeizuführen. Die Vorstellung, was sie sagen
wollte, und wie er es aufnehmen würde, hielt sie
den größten Theil der Nacht wach. Schon vernahm
sie allerlei Geräusch, das den anbrechenden Tag
verkündete, obgleich es der Jahreszeit entsprechend
noch völlig dunkel war. Bitt einen: Lächeln der
Befriedigung schlummerte sie ein, um bald darauf
durch ein seltsames Getöse geweckt zu werden.
Schwere Tritte schallten und das Klirren von
Waffen wurde vernehmbar. Isidora klingelte,
aber man schien dafür im Hause kein Ohr mehr zu
haben. Sie warf sich in ihr Biorgengewand und
öffnete ihre Thür. Auf dem Corridor begegnete
ihr zuerst der Oberknecht Kaltschlag, welcher ' ihre
Fragen nicht beantwortete und sie am Weitcrschreiten
verhindern wollte. Sic entschlüpfte ihn: und eilte
wie gejagt den Gang hinauf und wieder zurück,
dem Lärm nachgehend, bis sie ihn am deutlichsten
aus dem Gemach hörte, dessen zweite Thür in ihr
eigenes Stübchen führte, aber bisher immer ver
schlossen war. Es war das Schlafzimmer ihres
Mannes. Er stand aufrecht und völfi^ angekleidet
an einem Schrank neben einem Mannen Civil,
welcher ein Gerichtsbeamter sein mußte, denn drei
Polizeisoldaten, deren Gewehre zuweilen ans den
Boden stießen, leisteten ihm Assistenz. Hinter dieser
Gruppe standen einige Knechte und Mägde des
Hauses.
Man ließ der todtblassen Isidora den Weg zu
ihrem Manne frei, der eben mit dem Einpacken
der Dinge, die er in seinen Taschen mitnehmen
wollte, fertig zu sein schien.
„Was ist geschehen? was hast Du gethan, Mel
chior?" rief sie, in Schluchzen ansbrechend.
Er wendete sich zu ihr und suchte nur ihr selbst
vernehmbar zu bleiben, als er sagte:
„Man wird inich eines Verbrechens anklagen
Jetzt kannst Du Dich von mir befreien und den
Grafen aufsuchen. Lebe wohl auf ewig."
Man ließ ihr nicht Zeit zu einer Antwort.
£yeV' Beamte und die Soldaten nahmen Melchior
:n :hre Mitte und bestiegen mit ihm die unten
harrende Landkntsche.
(Fortsetzung folgt).
Kleine Gedankensplitter.
Und endlich bin ich heimgegangen
Zu alter Stell' und alter Lieb',
Und von mir ab fiel das Verlangen,
Das mich einst in die Ferne trieb.
Die Welt, die Fremde, lohnt mit Kränkung,
Was sich, umwerbend, ihr gesellt;
Das 5iaus, die Hcimath, d,e Beschränkung,
Die sind das Glück und sind die Welt.
Th. Fontane.
Nur zu Einem frisch entschlossen,
Sei es Dulden, That, Genuß:
Aus dem Zweifel, träg, verdrossen,
Stets beglückend hebt dich der Entschluß.
Kinkel.
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