Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

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Beilage zum Rendsburger Wochenblatt 9îr. 23. 
Mittwoch, den 22. Februar 1888. 
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16 ) Aer lateinische Kauer. 
Erzählung von Hieronymus Sonn. 
Es war ein trüber, schwüler Abend angebrochen, 
und noch immer wurde durch die Umstände bei 
solchen Gelegenheiten die Abfahrt verzögert. Alle 
Bewohner der Straße standen neugierig umher, 
theils um die Braut einsteigen zu sehen, theils um 
das prächtige Fuhrwerk zu bewundern. Dem 
Spender war es auch hauptsächlich nur um diese 
Bewunderung der Freunde und Nachbarn und 
keineswegs um eine Liebesgabe zu thun gewesen. 
Isidora wurde in den Wagen gehoben, und lange 
noch standen verwandte und befreundete Frauen bei 
ihr, um zu erkunden, ob sie nun ganz und gar mit 
Allein versehen sei, was auf der nächtlichen Fahrt 
nöthig werden konnte. Während dieser Zeit be 
sichtigte Melchior noch einmal das Gespann. Er 
hatte die Pferde gelenkt, als sie tagsvorher zum 
letzten Mal „eingefahren" worden, und ein großer 
Thierfreund, der namentlich Pferde und Hunde 
liebte und sachkundig zu behandeln verstand, freute 
er sich des Besitzes der Rappen, obgleich er sie für 
die bevorstehende Fahrt nicht gerade als tauglich 
ansah. Er tauschte darüber Bemerkungen mit dem 
Kutscher aus, war aber nicht völlig beruhigt, als 
dieser seine Methode im Lenken erklärte. 
Melchior sprang in den Wagen, und gemäßigten 
Schrittes ging es über die Brücke und durch das 
Gewimmel der inneren Stadt. Rascher wurde der 
Trab, als man durch das alte Käthnerthor und 
die Borstadt Wieden nach der Matzleinsdorfer Linie 
fuhr, und wohlig wiegte sich das junge Paar auf 
den weichen Kissen, die jede Erschütterung des 
Wagens auf dem Pflaster angenehm empfinden 
ließen. Nun war man auf der Landstraße vor dem 
sogenannten Wiener Berge, einer beträchtlichen An 
höhe, welche von den prächtigen Pferden ohne Er 
mäßigung des Trabes so gleichmäßig zurückgelegt tvnrde, 
als es auf ebenem Boden weiter gegangen wäre. 
„Gute Pferde müssen einen Berg hinauf rasch, 
einen Berg hinab langsam gehen", sagte Melchior, 
„und diese Langsamkeit ist eine noch größere Probe 
ihrer Kraft und Werthes, als das geschwinde 
Hinanfsteigen." 
Gleichgültig, wie diese Worte, waren die Ge 
spräche überhaupt, die Melchior im Wagen an 
knüpfte. Sie betrafen hauptsächlich die bevorstehenden 
Arbeiten im Felde und in den Weinbergen, und 
als Jstdora's Fragen mehr Jnterresse dafür kund 
gaben, wie er erwartet hatte, wurde er weitläufig 
in seinen Erklärungen, legte aber in die technischen 
Ausdrücke eine solche Wärme des Tones, daß seine 
Stimme zuweilen zitterte. 
„Wir werden zusammen auf der Höhe stehen und 
dein Winzervolk zusehen, wie es den Segen in die 
Fässer bringt, und — Isidora — wir werden 
fühlen, daß wir selbst vom Segen überströmt sind; 
nicht war, Dora?" 
Er hatte ihre Hand ergriffen und diese an sein 
Herz gedrückt. Er lauschte auf ein Wort von ihr, 
er wartete auf einen Druck ihrer Hand. Isidora 
aber machte eine Bewegung des Erschreckens, indem 
sie zugleich bebend sagte: „Wir fahren zu schnell." 
Er hatte nicht darauf geachtet, in der That aber 
war der Wagen in furchtbares Rollen gekommen. 
Die Nacht war kohlschwarz, die Luft schwül und 
still, kein Tropfen fiel, aber in ziemlicher Ferne 
zuckten am Horizont grelle Blitze auf. Bei solchem 
Aufzucken griffen die Pferde schneller aus, es war 
zu fürchten, daß sie bald des zurückhaltenden Zaumes 
spotten würden. Melchior sprach dies aus und 
versuchte zuerst, vom Inneren des geschlossenen 
Wagens ans sich mit dem Kutscher zu verständigen. 
Dies konnte jedoch nicht geschehen, ohne den Letzteren 
in der Führung der Pferde irre zu machen. Mel 
chior machte sich bereit, trotz der rasenden Schnellig 
keit des Gefährtes herauszuspriugen, um den Pferden 
in die Zügel zu fallen und den Wagen zum Stehen 
zu bringen. Isidora, welche die Gefahr kannte, die 
niit einem derartigen Sprung verbunden ist, bat 
ihn, sich derselben nicht auszusetzen, was ihm als 
Wohlgefühl in's Herz drang. Dennoch war er im 
Begriff, der Gefahr zu spotten, als der Wagen 
plötzlich eine Biegung machte und mit großer Gewalt 
an einen Steinhaufen schlug. Der solide Bau des 
Wagens verhinderte seinen Sturz, und die Pferde 
waren zitternd stehen geblieben. 
Im Nu war Melchior bei den Pferden, legte 
seine Hände auf ihre Nüstern, sprach zu ihnen und 
blieb so lange stehen, bis sic beruhigt waren, denn 
die Thiere sind in solchem Falle sanfter Behandlung 
ebenso zugänglich als bedürftig. Langsam führte er 
sie, ohne die Hand von ihnen zu lassen, auf die 
Landstraße zurück und gebot jetzt dem Kutscher, den 
Bock zu verlassen und sich rückwärts zu setzen. 
Seine junge Frau verständigte Melchior, daß er 
selbst die Lenkung der Pferde übernehme und sich 
daher für ein sicheres Fahren und gutes Ankommen 
verbürgen könne. 
So blieb denn Isidora allein im Wagen zurück, 
desien Schaukeln auch ihre Gedanken in verschiedene 
Richtungen zu wiegen schien, ohne daß sie einen 
einzigen dauernd hätte festhalten können. Draußen 
rückte das Ungewitter näher, der Donner wurde 
vernehmbar, nachdem die Blitze bald links, bald 
rechts in die Kirchthürme der Dörfer eingeschlagen 
zu haben schienen. Unter der Hand Melchiors 
hielten sich die Pferde so weit gut, daß sie zwar 
scheuten und ausgriffen, aber bald wieder in gere 
gelten Lauf zu bringen waren. 
„Warum, o Mann des Glückes und des Un 
glücks, begann Abdul Hassan in einem eigenthüm 
lichen Klageton, der fast wie Gesang lautete, zu 
Melchior zu sprechen, „soll das Schicksal nicht seinen 
Lauf haben? Es führt den Abgründen zu, in denen 
man zerschmettert liegen bleibt, mögen wir Alle in 
den Abgrund fallen!" 
Immer angestrengt in die Finsterniß hinans- 
blickend, die Zügel mit beiden Händen umfassend, 
erwiderte Melchior, manchmal die Rede unterbrechend, 
um mit ganzer Aufmerksamkeit das Leitseil zu führen: 
„Mein Mann! ich liebe nicht die Sprache der 
Komödianten ■— pathetisch und sonderbar — aber 
immerzu! Hier, weiß ich, ist es alte Gewohnheit, 
orientalische Abstammung. Zu Blumen und Schwulst 
gehört nothwendig das erhabene „Du"; wir wollen 
uns also duzen, mein Lieber, obgleich wir einander 
nicht leiden können, wie ich glaube." 
„Wahr gesprochen!" sagte Abdul Hassan, „warum 
also dem Schicksal entgegcnkämpfen? Es sind hier 
Bergschlünde, ich kenne sie wohl; ein Ruck an den 
Zügeln, und wir wären hart daran. Mein erstes 
Du lautet: Ich hasse Dich, ich möchte Dich allein 
hinabschleudern! ich möchte Dich tobten." 
Melchior dachte an den Blick, den ihm der 
orientalische Fremdling vor der Abfahrt zugeworfen, 
und in dem Mann erwachte der seltsame, ihm sogar 
etwas komisch vorkommende Gedanke, dieser türkische 
Derwisch, wie er ihn bei sich nannte, wäre gegen 
ihn in Eifersucht entbrannt. Mitleidig fragte Mel 
chior, ob ein schweres Leiden in der Brust des 
Unglücklichen wühle und ob derselbe nicht vielleicht 
viel jünger sei, als es den Anschein hätte. 
„Ich bin um zwei Jahre älter, als Jstdora's 
Vater", erwiderte Abdul Hassan, „ich bin also ein 
alter Mann. Das Kind habe ich immer wie mein 
Kind betrachtet, wie eine Entschädigung für Alles, 
was in mir, einem Fremdling unter Euch Christen, 
in den Landen, wo das Kreuz gebietet und nicht 
der Halbmond, versagt worden ist. Sie war mir 
wie das Licht im Osten, tvohin ich nicin Gebet 
wende; sic war mir — Allah möge mir verzeihen 
— wie Moschee und Mekka. Ich hätte aber nicht so 
alt werden sollen, blos um ihr Unglück zu erleben." 
Melchior riß die Zügel heftig an sich, er wollte 
alle Gewalt daran setzen, die Pferde, die durchzu 
gehen drohten, zum Stehen zu bringen. Ihn ver 
langte nach einer ruhig anzuhörenden Erklärung der 
letzten Worte. Er erzwang aber nur so viel, daß 
er das Gespann in der Kraft seiner Faust behielt. 
„Unglück?" sagte er, fortwährend in die Finster 
niß hinausstarrend; „Unglück? Heraus mit der 
Sprache!" 
„So ahnst Du nicht, Abscheulicher", sprach Abdul 
Hassan, den Wind überschreiend, der sich in den 
Bcrgschlündcn verfangen hatte und furchtbar zu 
heulen begann, „daß Du ihr Unglück bist, der Wurm, 
welcher sich auf die Rose von Schiras wirft, um 
sie langsam zu zerfressen. Denn nur edle Thiere 
tobten mit einem einzigen Biß, Baiiipyre und 
Schlangen nach und nach mit immer sich erneuernder 
Wollust des Zerstörens. Erst hast Du ihr Hab 
und Gut genommen, und ehe Du dich in den 
Besitz von ihr selbst gebracht, hast Du ihr den Ge 
liebten genommen, den Mann, dem sie allein hätte 
angehören »vollen, »venu Du zwischen die Hände der 
Beiden, die sich fassen wollten, nicht Deine ver 
ruchte Hand gelegt hättest." 
„Das glaube ich nicht", war Melchior's erste 
unwillkürliche Antwort; „Du lügst, Du sprichst im 
Traum; wenn Du die Wahrheit redest, wenn Du 
nicht ein verleumderischer Schurke bist, so nenne 
den Mann." 
„Graf Sigismund Oldfred", sagte Abdnl Hassan, 
deni es eine grausame Lust gewährte, Dolchstöße in 
die Seele des Feindes zu bohren, „ist ein schöner, 
junger Edelmann; herrlich ist seine Gestalt und 
lieblich seine Rede. Seine Locken duften und seine 
Worte fallen ivie Duftkörner auf das Herz. O, 
ich wußte schon, daß Du der Teufel bist, als sie 
noch mit ihm und mit den Cavalieren, die ihn be 
gleiteten, beim Mahle saß und Du plötzlich an der 
Schwelle des Saales auftauchtest, wie ein Gespenst, 
von Keinem, als von niir gesehen! Damals dachte 
ich an das jüdische Gastmahl, bei welchem die 
Worte des Verderbens an der Wand erschienen. 
Und weißt Du noch, wie Du sie und mich im 
Walde trafst und uns durch den Schuß erschreckt 
hast? Den Habicht hast Du rasch getödtet, die Taube 
hast Dn Dir langsam zu tobten aufbehalten. Kein 
Wort niehr sprach sie auf dem Heimweg; aber als 
wir schieden, bebten ihre Lippen von dem Worte 
„Räuber" und ihre Augen forschten nach dem jungen 
Grafen. O, hättest Du ihre Traurigkeit gesehen 
an dem letzten Tage, che sie das Haus verließ, in 
welchem sie Kind und Jungfrau gcivesen war, und 
das sie erst als Weib wiedersehen soll!" 
„Warum hast Dn mir dies Aller nicht um 
einen Tag früher gesagt?" fragte Melchior. 
„Weil die Hcirath nicht gewesen wäre »nd sie 
mir nie verziehen hätte," erwiderte Abdul Hassan. 
„Warum hätte sie Dir nie verziehen, da sie doch 
einen Anderen liebt?" fragte wieder Melchior. 
„Weil sie ihren Vater retten wollte", war die 
Antwort. 
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