»»„««emeurrpüti»:
vierteljährlich 2Jt — frei ins Haus geliefert 2 Jt 16 ^
— für Auswärtige, die das Blatt durch die Pot
beziehen 2 JL 25 incl. Postprovision -c., jedoch vhn>
Bestellgeld.
80ster Jahrgang.
Erscheint Montag-, Mittwoch- und Freitag-Abend. \ v »
«IS Beilage wird dem Blatte monatlich einmal »Der Landwtrth" gratis betgegedcni
I»serkio«»t>reil:
Für die Eorpuszeile IS für die Petitzeile 10 ^
Anzeigen werden an den bezüglichen Ausgabetagen
bis Mittags 12 Uhr erbeten.
Montag.
Mo. 1.
8. Januar 1887.
Der Identitätsnachweis für Getreide.
Mit der Einführung der Gelreidezölte hat die
Bewegung in Landfrüchten eine nicht zu bestreitende
Verschiebung aufzuweisen, unter deren Einwirkung
die deutschen Seestädte ganz außerordentlich zi
leiden haben. Ein großer Theil der Producle,
welcher vorher seinen Weg nach oder über Deutsch,
land genommen hatte, geht jetzt direct nach de»
Consumtionslândern, wodurch namentlich unser-
Seestädte tief geschädigt worden sind.« ES ist
liberalerseits mehrfach der Antrag gestellt worden,
um durch Aufhebung deS Identitätsnachweises,
welche Niemand schädigen würde, dem Getreide-
Handel der Seestädte wieber auf die Beine zu helfen.
Nicht nur die deutschen Hafenstädte, sondern breite
Schichten unserer heimischen ErwerbSklassen würden
hieraus ihren Vortheil ziehen. Bei der durch den
hohen Zollsatz hervorgerufenen Preisconstellalion
zwischen in- und ausländischem Getreide ist nicht
nur der Import, sondern auch der Erpork der
jenigen Qualitäten sehr erschwert, die früher im
Auslande ein sehr bevorzugles Absatzgebiet hatten.
Zur Zeit können sich die TranSaclivnen nur daraus
beschränken, daß im Inland selbst ein AuSIausch
derjenigen Qualitäten stattfindet, welche in dem
einen Theil Deutschlands im Ueberfluß, in dem
ander» wenig vorhanden sind. DieS ist besonders
beim Weizen der Fall. In dem Weizen der einen
Gegend herrscht der Stärkemehlgehalt, in dem einer
andern der Klebergehall vor. Um ein brauchbares
Mehl zu produciren, ist eine Mischung beider
Weizenarten nöthig. Bezüglich des sogen, harten,
kleberreichen Weizens sind wir fast ganz auf das
Ausland gewiesen, da unsere Production von solchem
harten Weizen weder qualitativ »och quantitativ
ausreicht, unsere Bedürfnisse zu decken. Die
Forderung der Aushebung des Identitätsnachweises
für Getreide bezweckt diese» Austausch zu erleichtern,
es soll Niemand mehr gezwungen weiden, nachzu
weisen, woher daê Getreide stammt, sondern den
Importeuren in Zukunft nur obliegen, dasjenige
Quantum, was vom AuSlande bezogen wurde,
zu verzollen, oder wieder auszuführen. Dadurch
würde nicht nur der Import ausländischen Weizens,
sondern auch der Export des inländischen zunehmen,
da man an Stelle des inlportirten Weizens heimisches
Gewächs nach dem Auslande senden würde, um den
Zoll zu sparen. Für die Landwirihschast würde
davon ebenfalls Vortheil erzielt werden, denn die
gesteigerte Nachfrage nach inländischem Weizen würde
naturgemäß steigernde Preise desselben zur Folge
haben. Hieraus würde wiederum eine gesteigerte
Einnahme für die Eisenbahnen aus GetreidetranS-
port resultiren. Auch eine Kürzung der Zollein
nahmen würde, wie man einwerfen könnte, »ich:
stattfinden, denn jede deutsche DurchschnittSernte
macht noch immer eine» Import nöthig, um das
Bedürfniß im Lande zu decken, und dieser Import
müßte nach wie vor verzollt werden. Wir er-
blicken also in der Aufhebung des Identitätsnach
weises für Getreide ein Mittel, um dem durch die
Schutzzollpolitik schwer geschädigten Getreidehandel
der deutschen Seestädte, ohne Schädigung anderer
Interessen, aufzuhelfen, ein Grund, warum man
derselben in Handelskreisen sehr sympathisch gegen
übersteht und ist eS erfreulich, daß der BundeSrath
sich mir dieser Materie eingehend beschäftigen will.
Laudon, 2. Ian. Zu den KriegSgerüchten
äußert sich der „Observer" in folgender augen
blicklich wohl sehr zutreffender Weise: „Die Ge
rüchte über einen bevorstehenden Krieg scheinen
uns auf einer sehr schwachen thatsächlichen Grund
lage zu ruhen. ES kann doch einen allgemeinen
Krieg nur geben, wenn zwei Nationen denselben
wellen, und die zwei Nationen können wir eben
nicht finden. Rußland will und kann nicht
Krieg gegen daS verbündete Deutschland und Oester
reich führen. Deutschland ist entschlossen, keinen
Krieg mit Rußland zu beginnen und gestattet eS
Oesterreich auch nicht. Oesterreich kann nicht mit
Deutschland brechen und deshalb muß eS Frieden
halten. Frankreich wünscht vielleicht einen Krieg,
aber eS kann niemals an einen denken, so lange
die Tripelallianz in Kraft bleibt, und so lange
Deutschland Oesterreich zurückhält, muß Rußland
Frieden halten. Einige Opfer wird die Aufrecht
erhaltung deS Friedens sicherlich kosten und dieses
Opfer wird Bulgarien wahrscheinlich bilden. Es
thut unê leid, aber daS Bedauern über den Preis
deS Friedens beeinflußt nicht unsere Ueberzeugung,
daß er gewahrt bleibt. So lange Deutschland an
seiner gegenwärtigen Politik festhält, ist ein all
gemeiner Krieg thatsächlich unmöglich."
Loudon, 2. Ian. Hartington theilte heute
Salisbury mit, daß er (Hartington) und Göschen
nicht geneigt seien, in daS Cabinet einzutreten;
er werde jedoch Salisbury dieselbe aufrichtige
Unterstützung zu Theil werden lassen, wie früher.
Dem Vernehmen nach würde Smith als Führer
deS Unterhauses Kriegsminister bleiben. Stan
hope würde Schatzkanzler, Carnarvon StaatS-
sķļretâr der Colonien sein.
Loudou, 30 Dec. (B. T.) Bei dem gestrigen
Empfang der bulgarischen Deputation be
leuchtet dieselbe vor Lord Zddesleigh, wie sie
dieS schon in anderen Hauptstädte), gethan, die
jetzige bulgarische Situation, betonte abermals die
Unmöglichkeit der Annahme des Dadians
von M i n g r e l i e n als Fürsten , welche
Deutschland angerathen habe.
— Ueber den Tod deS Flügeladjutanten
des Zaren, Majors, nicht Grafen oder Generals
Reutern, erzählt der Pariser „Times"-Korre-
sp dent Folgendes. „Der Zar hatte ihm Briefe
Wrt or met f,
" '* - r --c," * - 0“— O*"
braucht haben würde, und hatte ihm aufgetragen,
die Briefe, wenn fertig, ihm zu bringen. Major
Reutern glaubte daher, daß er ein paar Stunden
ungestört sein werde und zündete eine Cigarre an,
obgleich er in einem Zimmer neben demjenigen deS
Zaren arbeitete. Da trat der Zar plötzlich ein
und Reutern, welcher dadurch verwirrt wurde, daß
der Zar ihn rauchend antraf, schob die Cigarre
hastig hinter seinen Rücken. Der Zar bildete sich
ein, er habe eine Pistole zum Abfeuern bereit
gesehen, zog einen Revolver und schoß Reinern
nieder. Er war entsetzt, als er sein Mißverständniß
entdeckte, und sandte einer seiner vertrauenswür
digsten Adjutanten zu der Familie Reutern, um
daS fatale Mißverständniß aufzuklären und sein
tiefes Bedauern auSzusprechen. Die Familie hat
die Nachricht nicht den Zeitungen mitgetheilt,
sondern behauptet noch immer, er sei eines natür
lichen TodeS gestorben."
Paris, 2. Ian. ES wächst die Befürchtung,
daß Boulanger die gegenwärtigen Wirren zu
einem Staatsstreich benutzen könne. Rochefort
macht im „Jntransigeant" die Republikaner darauf
aufmerksam, wie leicht jetzt ein Staatsstreich sei:
weder Paris noch das Land würde dagegen, wie
früher, sich auflehnen. „Ein Staatsstreich", sagt
das Blatt, „wäre eine gefundene Umgestaltung
dieser Maschine, deren Räder mit dem Blute
unserer Soldaten und den Millionen unserer Geld
koffer geschmiert werden."
Berlin, 1. 3an. (H. C.) Der Kaiser empfing
anläßlich seines achtzigjährigen Dienst-
jubiläums alle commandirenden Generäle der
deutschen Armee, an deren Spitze der Kronprinz
folgende Ansprache an den Kaiser hielt: „Mit
Ew. Majestät begeht heute das Heer die Erinnerung
an den Tag, da Allerhöchstdieselben vor achtzig
Jahren in die Reihen der preußischen Armee auf
genommen wurden. Wiederholt schon durfte ich,
wie im gegenwärtigen Augenblick, mit den Ver
tretern des HeereS vor unseren Kriegsherrn treten,
ihm dafür zu danken, daß er uns in den ge
waltigen Kämpfen zu herrlichen Siegen geführt
hat. Bei der heutigen Feier aber blicken Ew.
Majestät auf vom Frieden reich gesegnete Jahre
zurück, welche vor Allem der ungestörten Ent
wickelung und Kräftigung des nach harten Kämpfen
wieder aufgerichteten Reiches gewidmet waren.
Solche friedliche Arbeit konnte indeß nur gedeihen,
weil gleichzeitig Ew. Majestät sachkundige, rastlose
Leitung die Schlagfertigkeit des Heeres zu der
Vervollkommenheit förderte, deren jeder deutsche
Soldat sich mit Stolz bewußt ist. Der preußische
Grundsatz, daß es keinen Unterschied giebt zwischen
Volk und Heer, weil beide eins und zu deS Vater
landes Vertheidigung jederzeit bereit sind, ist durch
Ew. Majestät Fürsorge ein Gemeingut der ganzen
Nation geworden. In dieser Wehrhaftigkeit unseres
gesammten Volkes liegt die gewichtigste Bürgschaft
für die Wahrung unseres Friedens. So möge es
mir heute, wie vordem, gestattet sein, auSzusprechen,
daß unser wehrhaftes einiges Volk in dankbarer
Liebe und opferwilliger Treue seinem Kaiser und
Kriegsherrn vertraut, mit freudiger Zuversicht auf
ihn als den Wahrer des Friedens blickt und den
einmülhigen Wunsch hegt, daß Gottes Segen in
tt-AfTo ■...*» w.s.as* - L-.-
— Der Kaiser dankte mit sehr herzlichen, warmen'"
Worten und gedachte seines Vaters, der in schwerer
Zeit ihn in die Armee habe eintreten lassen, in
der Hoffnung, daß er bessere Zeiten erleben werde.
Die Vorsehung habe sie ihn erleben lassen im
vollsten Maße, besonders durch die Erfolge, die er
mit der Armee gehabt habe. Er danke allen An
wesenden als den Vertretern der Armee und damit
der Armee und auch den nicht mehr activen Offi
zieren, die aber an den Erfolgen mitgewirkt hätten.
Der Kaiser umarmte hierauf den Kronprinzen,
ging alsdann auf Moltke zu, umarmte auch diesen
in herzlichster Weise und dankte demselben für
seine unvergleichlichen Dienste. Schließlich sprach
der Kaiser die Hoffnung aus, die Anwesenden am
I. Januar 1888 wiederzusehen.
Berlin, 2. Jan. Die „Post" meldet, daß der
russische Botschafter und Graf Herbert
Bismarck sehr gut miteinander stehen, indent sie
die in dem nationalliberalen „Deutschland" aus
Stolberg enthaltene Nachricht über eine Duell
forderung des erstern gegen den letzteren dementirt.
Der russische Botschafter war noch am Donnerstag
im auswärtigen Amte und beide Herren tauschten
nach wie vor die freundschaftlichsten Versiche
rungen aus.
— Die Gerüchte vom Tode deS Oberstlieute
nants v. Villaume gründen sich, so schreibt der
Pariser Times-Korrespondent Blowitz, auf eine
ungeduldige Bewegung des Zaren während
einer Audienz, als sich der deutsche Militärbevoll
mächtigte seiner Mission (nämlich Frankreich und
Rußland einander zu entfremden) unterziehen und
den Kaiser von der Idee, unter gegebenen Um
ständen gemeinsame Sache mit Frankreich machen
zu wollen, zurückbringen wollte. — „Ungeduldige
Bewegung" ist sehr einleuchtend.
Dagegen wendet sich die „Nordd. Allg. Ztg."
abermals gegen die von einem Theile der Presse
fortdauernd fructificirten Sensation?Mitthei
lungen bezüglich Villaume's, die sie bereits
am 24. Dec. als frivole Lügennachricht bezeichnet
habe und bemerkt zu dem von fortschrittlichen
Blättern gestellten Verlangen eines bezüglichen
Dementi im „Reichsanzeiger", es sei nicht Auf
gabe des amtlichen Reichsblattes, allen Lügen ent
gegenzutreten, welche von speculativen Redactionen
in Rechnung auf die Urtheilskraft ihrer Leser er
funden und gedruckt würden. Diesem Unwesen
könne nur die „fortschreitende Schulbil
dung" der Leser abhelfen.
— Aus „zuverlässigerQuelle" erfährt die „Post",
daß die in letzter Zeit in den verschiedenen russi
schen Zeitungen erschienenen deutschfeindlichen
Artikel, welche schließlich zu dem vielfach er.
wähnten, zur Mäßigung mahnenden Erlaß der
Petersburger Regierung führten, keineswegs aus-
schließlich von „zünftigen" Journalisten herrühren,
sondern zum großen Theil von zwei höheren
Offizieren verfaßt seien. Die „Post" nennt
als in dieser Richtung thätige Publizisten den
General Soboleff, früheren Ministerpräsidenten
(nicht Kriegsminister, wie die „Post" irrthümlich
schreibt) in Sofia, jetzigen Commandeur einer Garde«
Jnfanterie-Brigade, einen der bekanntesten und be-
fahigtsten russischen Offiziere; und »eben diesem
S.c-- tu,....,. <v» ‘ - «• • 4 **
>.Q» «/nmuiļuiu.ci Ptisyrewvkl, Lesse» e-eameno
rühmend in Pariser Zeitungen Erwähnung ge
schehen ist, als eines Mitgliedes der diesjährigen
russischen Militärdeputation zu den französischen
Manövern. Pusyrcwski sei der Verfasser jener
gehässigen Aufsätze, welche die „Moskowskija
Wjedomosti" in den letzten Wochen über unsere
Militärvorlage und gegen unsere Armee veröffent
licht hat; sein hochgestellter Wassengenosse General
Soboleff sei nicht nur regelmäßiger Mitarbeiter
der „Moskauer Zeitung" und des „Grash-
danin", sondern auch des berüchtigten Straßen-
blattcS „Swet".
Berlin, 2. Jan. Die „Nat.-Ztg." besitzt ein
ihrer Meinung »ach unfehlbares Recept, daS Weh
und Ach unserer inneren Zustände derart zu kuriren,
daß die Regierung eine liberalkonservaiive Mehr
heit im Reichstage erhält, mit der sie in voller
Harmonie das Reich beglücken kann. DaS Blatt
wird nicht müde, bei jeder Gelegenheit sein Recept
5) Unter einem I>ache.
Roman von Karl Hartmann-Plön.
Die Müllerin verließ den Flur und trat
wieder vor die Hausthür. Sie hatte noch
nie so unfreundlich, noch nie in einem so herben
Tone gesprochen. Aber nicht hierüber war
die Letztere erstaunt, sondern nur über den
Inhalt dieser Strafpredigt. Sie sah ihrer
Mutter mit demselben Gesichtsausdruck nach,
wie Friedrich dem Müller nachgeschaut halte,
und fast die gleichen Gedanken, wie sie durch
des Vetters Gehirn rasten, wirbelten auch
durch ihren Kopf. Auch sie fühlte in dem
Augenblick, wo die Mutter es deutlich genug
ausgesprochen, daß sie zu einer Verbindung
mit Friedrich nie ihre Einwilligung geben
würde, mit einer plötzlichen Klarheit, daß es
mehr als bloße Freundschaft sei, was sie für
ihren Jugendfreund empfinde, daß die wirkliche,
wahrhafte Liebe ihr Herz erfülle. Es war trotz
der Rede der Müllerin ein beseligender, über
wältigender Augenblick, als sie sich der Liebe
wie mit einem Schlage bewußt wurde. Erst
als Frau Steffens sie verlassen,^ stellte sie sich
ganz ähnliche Fragen, wie Friedrich. Die
nächste war, ob er sie wieder liebe, ob olle
seine Aufmerksamkeiten gegen sie vielleicht nur
durch die Freundschaft eingegeben, würden.
Niemals hatte er bis jetzt von Liebe gesprochen.
Und was hatte die Mutter ihr von der Haus
hälterin auf dem Weidenhof gesagt? Sie wäre
eine passende Frau für ihn? Sie war zwar
nicht ganz jung mehr, aber immerhin eine
ganz hübsche Person. Hatte er nicht bei der
Verlobung mehrmals mit ihr getanzt? Ja,
ganz recht, sie hatte ja auch gesehen, wie die
Beiden miteinander angestoßen, wobei der
Punsch verschüttet ward. Gleich darauf hatt:
die Haushälterin ihm auf die Schulter ge
klopft und ihn dabei so eigenthümlich lächelnd
angesehen, und im nächsten Augenblick hatte
sie das heiße Zimmer verlassen und waren vor
die Hausthür getreten, um sich abzukühlen.
Wo nur hatte sie ihre Augen gehabt, daß sie
das mit so harmlosen Blicken betrachtet? Das
war gewiß schon eine längst geplante Sache
zwischen ihren Eltern und Friedrich. Und das
hatte der Freund der Freundin verschwiegen,
die noch nie Geheimnisse vor ihm gehabt hatte?
Ein schwerer Seufzer stieg aus ihrer Brust
empor. Wie hatte sie sich auf den heutigen
Tag gefreut, — nun war jede Freude dahin!
Ach, sie war ein unglückliches Mädchen!
Müller Steffens war durch eine Seitenlhür
ins Haus getreten. Die Thür führte in die
eigentliche Mühle, die mit den Wohnräumen
unter einem Dache lag. Von hier aus ging
ebenso, wie vom Vorderhaus aus, eine Treppe
nach dem Boden. Langsam, mit gesenktem
Haupte schritt er die ausgetretene, mehlbestäubte
Treppe hinaus. Auf dem Theil des Bodens,
der über der Mühle lag, standen neben ein
ander eine Menge Säcke, die theils mit Korn,
welches noch gemahlen werden sollte, theils
mit Mehl und Schrot gefüllt waren. Weiter
nach dem Vorderhause hin lag ein Haufen
losen Strohs; erst gestern waren die Dach
decker mit dem Ausbessern eines großen Loches
im Dache fertig geworden, das der letzte
Gewittersturm in den alten Bau gerissen. Vor
diesem Haufen blieb der Müller stehen und
sagte etwas unwirsch:
„Da liegt es noch, und ich habe doch dem
Peter ausdrücklich besohlen, bevor er sich zur
Abfahrt rüste, den Boden rein zu fegen, ich
kann solchen Schmutz, solche Unordnung nicht
leiden!"
Dicht neben dem Strohhausen waren zwei
Thüren, die zu zwei Kammern führten, welche
in einem Ausbau sich befanden, der sich in
der Mitte der Längsseite des Hauses über
der Küche erhob. Vor der ersten der beiden
Thüren hatte man zwei eiserne Stangen der
artig befestigt, daß man durch die durchlöcherten
Enden starke Nägel in die Pfosten getrieben.
Nur durch Anwendung einer gewaltigen
Kraft konnten sie wieder entfernt werden.
Steffens stand mehrere Minuten schweigend
vor dieser Thür, seine Blicke unausgesetzt auf
den eisernen Verschluß gerichtet.
»Ich kann nicht fort von dieser Stelle,"
sprach er dumpf vor sich hin, „es ist mir, als
ob eine unsichtbare Macht mich zurückhält und
mir zuflüstert: Du darfst das Haus nicht ver
lassen, Dir ist ein heiliges Pfand anvertraut,
zum wachsamen Hüter bist Du bestellt, wende
nicht pflichtvergessen den Rücken!"
Er legte die Hand an eine der eisernen
Stangen und rüttelte daran.
»Sie sind fest und sicher," fuhr er fort, „in
diese Kammer dringt kein Dieb, er müßte denn
schon mit einer Axt die Thür zertrümmern oder
draußen eine' Leiter anstellen und das Fenster
einschlagen. Wer sollte das wagen? Nein,
ne,n, so frech wird Niemand sein! Kann ich
denn allein zurückbleiben? Soll ich meinem
einzigen Sohne nicht zur Seite sein, wenn er
vor den Altar tritt? Ich muß den wichtigen,
äuf die Seele gelegten Schatz schon unter
die Obhut des Himmels stellen, — behüte ibn
mir, mein Gott!"
Der Müller faltete wie zum Gebet die Hände,
dann verließ er mit beschleunigten Schritten
den Boden und kehrte aus der zweiten Treppe,
die auf den Flur führte, wieder in das Unter
haus zurück.
Der bekränzte, nach alter Art noch mit drei
Stühlen versehene Hochzeitswagen stand längst
vor der Thür. Frau Steffens und Reimer
hatten sich schon gesetzt, die Erstere auf den
mittleren, der Letztere auf den dritten Stuhl.
Am Wagentritt stand die Magd und reichte
ihrer Herrin die Hutschachtel hin. Friedrich
saß beim Kutscher und unterhielt sich laut, fast
überlaut mit seinem Nebenmann über die statt
lichen Schimmel, die den Wagen ziehen sollten,
deren Geschirre von Peter's Hand mit Geor
ginen und Astern besteckt waren.
Dabei horchte er fortwährend nach dem hin,
was hinter ihm vorging, aber den Kopf wandte
er nicht, es war ihm nicht möglich, in diesem
Augenblick Diejenige anzublicken, von der er
wähnte, daß sie, wenn auch nicht an der Liebe,
so doch an der Freundschaft einen Verrath
geübt hatte. Liesbeth stand noch in der Haus
thür, sie hörte sein lautes Sprechen und är
gerte sich, daß er sich nicht ein einziges Mal
nach ihr umsah.
Natürlich, er konnte die Abfahrt aar nicht
abwarten und sehnte sich danach, in die Nähe
der Haushälterin vom Weidenhof zu kommen.
Wie hätte er in seiner Freude wohl die Zeit
gehabt, nur einen Augenblick ihrer zu ge
denken! Sie war empört über diese Geheim-
nißlhuerei! Warum hatte er nicht verschwiegen,
daß er Absichten auf diese Person habe? Das
war schlecht von ihm!
Zwischen ihren Brauen hatten sich zwei
tiefe Falten des Zornes gebildet und mit den
fast lautgesprochenen Worten: „Es ist gut,
es ist gut!" setzte sie energisch den Fuß aus
den Tritt und schwang sich auf den Wagen.
Gleich darauf trat der Müller aus dem
Hause, bestieg den Wagen und setzte sich neben
seine Frau.
„Daß Du mir nicht das Haus verläßt,
hörst Du, Wanken?" rief Frau Steffens der
Magd noch zu.
„Wehe Dir, wenn Du es thust!" sagte der