Full text: Newspaper volume (1848)

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hiesige be»u monde. Wohl an die zehn Mal ist es 
mir schon erzählt worden und jedes Mal mit einem 
Tone der Wohlgefälligkeit und geschmeichelter Eitelkeit, 
loie er gar nicht zu beschreiben ist. Vorgestern hatte 
ich die Ehre, jenen Gefeierten von Angesicht zu Ange 
sicht kennen zu lernen. Man saß im Freien, je nach 
Familien an einzelnen Tischen, da trat er in deti Gar 
ten. Die zwei jungen Leute der Stadt stiegen um 
ziemlich lauten und, wie ich meine, absichtlich lauten 
Begrüßungen auf ihn zu. Er empfing ihr Willkommcn 
mit der Miene eines Mannes, irelcher dergleichen Ach 
tungsbezeugungen längst gewohnt ist und beeonipli- 
mentirte sie darauf mit den verschiedenen Tischen. Welche 
plötzliche, merkwürdige Veränderung in den Gcsichtern. 
AUcS wurde lebendig und erregt, die Meisten zeigten 
eine affectirke Vertraulichkeit, welche doch ivieder «ine 
gewisse vornehme Gleichgiltigkeit durchscheinen lassen 
sollte, oder eine wahrhaft himmlische Freundlichkeit, 
mir der eine recht gesuchte Miene des Stolzes wunder» 
sam und ziemlich lächerlich conirastirte. Andre wurden 
ganz und gar verlegen, wie Leute, die beim Unrecht, 
thun ertappt werden, und ließeii die verstohlener Weise 
vom Hause mitgebrachten Buiterbrode in den Sand 
fallen. Das Spaßhafteste bei dem Allen ist. daß Jeder 
diese Komödie wie für sich selber nur spielt, denn da 
ist Keiner, der nicht des Andern gesellige, heimliche 
und wirthliche Verhältnisse grade so gut, wie dieser 
selbst kennte, und i» vielen, wo nicht den meisten Fällen, 
gar noch besser. — Nichtsdestoweniger will Jeder den 
Andern glauben mache», und zwar mir jedem neuen 
Jahre von Neuem, daß grade er mit dem ganz beson 
dern Vertrauen des adligen Herrn Gutsbesitzers beehrt, 
daß er aus Princip und nicht etwa aus Sparsamkeit 
für seine ganze zahlreiche Familie nur eine Portion 
Kaffee coiisumire und daß er nirgends das Brod so gut 
finde, als bei sich zu Hause, weswegen er solches „ach 
der Ressource sich immer mitbringe und was dergleichen 
unschuldige Täuschungen mehr sind, die keinen Andern 
mehr betrügen, denn den Täuschenden selber. Wenn 
ich nur wenigstens einmal ein wahrhaft fröhliches und 
erheitertes Gesicht gesehen hatte. Aber das Vergnügen 
ist ihnen eine Arbeit. Sie sind in ihren alte» Adam 
so versessen und befangen, daß sic ihn auch keinen Au. 
genblick an den Nagel hängen können und einen neuen 
Menschen anziehen. Ich begreife eine solche Cristcnz 
nicht. — 
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Charivari. 
Schreiben des Herrn Doctors Eisele an den 
Herrn Baron v. Beisele sen., Erb-' und 
Gerichtsherrn auf und zu Beiselingen, worin 
er seine und die Ankunft des Herrn Baron von 
Beisele jun. in Rendsburg meldet und zugleich die 
Ursachen «»giebt, warum sie, die beiden berühmten 
Reisenden, sofort diese Stadt wiederuni verlassen 
und sich nach Hamburg zurückgezogen haben. 
Hoch, und Wohlgeborner Herr Baron, 
Insonderheit Hochzuverehrcnder Herr! 
Ew. hochfreiherrlichcn Gnaden mir gegebenen In. 
-ruction zufolge ermangele ich nicht, über den ferneren 
Fortgang unserer Europäischen Rundreise meinen pflicht 
schuldigsten Rapport abzustatten. Was zuvörderst das 
Wohlbefinden Dero Herrn Sohnes anbelangt, so erfreut 
derselbe sich Gott sei Dank, seit der Bralwurst-Cur und 
seit den in Braunschweig von uns gebrauchten Lust, 
bädern, des besten Wohlseins. Sein Appetit ist in er. 
freulichem Zunehmen und unsere Rechnungen in den 
Gasthöfen steigen im Verhältniß. Auch haben wir eS 
unS jetzt, nach der neulich gemachten Erfahrung, zur 
Regel gemacht, bevor wir Privateinladungen annehmen, 
uns nach den culinarischen Verhältnissen der invitiren. 
den Herrn zu erkundigen. Denn Hunger» ist kein 
Brod sparen, wie Ew. Gnaden zu sage» pflegen, wenn 
Eie Sonntags aus der Kirche kommen. Ehe ich jedoch 
aber in fernere RaisonnemcntS mich verliere, er 
laube ich mir. zu meinem unterļhânigsten Rapport ohne 
weitere Vorrede überzugehen. Nachdem wir in Ham» 
bürg einer theatralischen Vorstellung Abends vorher 
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beigewohnt halle», in welcher wir uiis in eigener Per. 
son mit vielem Effecte dargestellt sahen — so groß ist 
die Celebriiat, die wir mit Gottes Hülfe und durch 
meine geringen Educations.Talente erreicht haben —: 
'roten wir am Montag Morgen, den 24sten d. M. mit 
dem erste» Bahuzuge die Reise von Altona (oder eigent 
lich von Ottensen, wo wir das Grab des berühmten, 
aber längst nicht mehr gelesenen Poeten Klopstock in 
Augenschein nahmen) nach Rendsburg an. AuS einer 
von Ew. Gnade,, gewiß gebilligt werdenden Oeconomie 
nahine,i wir Karten zur drillen Classe, allwv man so 
bequem incognito reiset, da die Karte» auf den Inhaber 
lauten ji„t) man nicht nach Rang und Stand gefragt 
wird. Uns gegenüber saß'ein ganz seingekleideter Manu, 
der unS auf Befragen den Gasthof „zum schwarzen 
Adler" in Rendsburg empfahl, indem er unS versicherte, 
zum Oefleren daselbst logirr und eine gute und billige 
Bewirkhung genossen zu habe». — Wir erfuhren später 
zn unserem Leidwesen, daß der Herr ei» vagabondirender 
Literat, ein Erz,chalk sei, der auf nie erscheinende Werke 
Pränumeranien sammelt und in dem aufgeklärten Schles 
wig!) ölst ein eine gute Beule gemacht har. — Auf dem 
Bahnhöfe, der in einiger Entfernung von der Eiadt 
liegt, trafen wir verschiedene Omnibuse, Kaleschen und 
Droschken an und erkundigten uns,, in welchem dieser 
Fuhrwerke wir mir unseren, Gepäcke „ach den, Gasthof 
„ium schwarzen Adler' gelangen könnten. Plötzlich er. 
scholl ein allgemeines Hohngelachter und wir vernah 
men ganz dkiillich die höchst defpeciirlichc» Worte, als 
„Pracher", .Pracherherberge" u. s. w. Ein ältlicher 
Man» (wir hörten ihn Matthias nennen), der unsere 
Verlegenheit bemerkte, nahm sich unserer an und lud 
uns ein. in seine Fensterchaise zu steigen, wobei er uns 
bedeutete, der von uns genannte Gasthos eristire überall 
nicht mehr, er wolle unS aber »ach einem andern brin. 
gen, wo wir zufrieden sei» würden. Wir nahmen 
dieses Anerbieten an. bestiegen daS Fuhrwerk und er. 
reichten gar bald das Ziel. Bis zur Zeit des Mittags, 
esse,iS an Table d'hote hatten wir noch eine Stunde 
Zeit, die loir benutzten,, um einen Theil der Stadt zu 
besehen. Zuerst nahmen wir daS nahgelegene Rath. 
und Schlachthaus») in Augenschein, welches uns sehr 
mißfiel. Man erzählte uns, daß zum Bau eines neuen 
Hauses eine SchillingSsammlung eröffnet sei und in der 
Voiauösetzung Ew. Gnaden Genehmigung haben wir 
einen Beitrag von 4 Schillingen schriftlich offerirt, aber 
noch keine Antwort erhalten. Dann besahen wir die 
Marienkirche (von Außen nämlich), das sogenannte 
Hospitalgasthaus, einen Wassergraben, worin kein 
Wasser, und da unser Magen eben so leer war, so 
kehrten wir in unseren Gastbof zurück. Die Gäste der 
Table d'hoie fanden sich nach und „ach ein und nun 
erst erhielten wir Kunde von der zur allgemeinsten Be. 
krübniß eingetretenen Landestrauer. Bei Tische hatten 
wir zum ersten Male Gelegenheit, dänisch reden zu 
hören, indem ein Theil der Gesellschaft sich in dieser 
Sprache unterhielt, während die übrigen Gäste deutsch 
redeten. Dero Herr Sohn legte Lust an den Tag. die 
dänische Sprache zu erlerne», daher wir unS bei einem 
Antiquar .Flors Grammatik' kauften, um unS durch 
wechselseitige» Unterricht diese Sprache beizubringen, 
welches uns bei unserem Lehr- und Lerutalent hoffentlich 
gelinge» wird. Um Ew. Gnaden zu zeigen, daß wir 
schon einige Fortschritte gemacht haben, zeigen wir Ihnen 
an, daß eine Wurst.Pilse" und Speise überhaupt „Mat" 
auf dänisch genannt werden. Zu den Zeitwörtern sind 
wir noch nicht gelangt. Nach aufgehobener Tafel fuhren 
wir in Besehung der Merkwürdigkeiten der Stadt fort, 
als da sind: das Arsenal, der Bagno, die Garnisonkirche, 
die Hauptwache, die große Pump« und die rothe Pumpe, 
die Synagoge, daS Harmoniegebäude, ei» nahe daran 
gelegenes, sehr stattliches Gebäude, von dem man uns 
sagte, daß cS eine Mühle sei, nnd zuletzt den Raths 
keller, wo wir aber keine Gesellschaft fanden, da, wie 
der Wirth uns sagte, die Stammgäste erst Abends 
Uhr sich einzusinden pflegen. Dies schien uns etwa- 
zu spät und eine üble Gewohnheit zu sein, da wir unS 
gerne schon um 10 Uhr zur Ruhe begeben. Gegen 
5 Uhr Nachmittags kehrten wir iviever in unsern Gast- 
hof zurück, wo wir eine zahlreiche Versanimlung von 
Bürgern und Einwohnern in dicke» TabackSwolken an» 
'1 Hier ist der Herr »,lļ«e ,ffe»d«r i» et»e» Irrthum te,rtffe»> 
trafen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und »ach. 
dem wir »ns erkundigt hatte», was denn eigentlich im 
Werke scsi erfuhren wir, daß von einem Bürgerverein 
die Rede sei, der, kaun, gestiftet, anck schon n ieder sich 
aufzulösen drohe. Die eigentliche Versammlung war 
im Saale des 'Gasthvses; wir fragten, ob es uns ge 
statte! sei, der Versammlung alS Freinde beizuwohnen, 
worauf man unS die ziemlich unfeine Antwort gab: „es 
sind Lkiiie geiiug da. die nicht dahin gehören, gehen Sie 
daher inir immerhin hinein." Als wir in den Saal 
traten, redete eii, junger Mann sehr heftig, eiferie und 
gestieulirte erschrecklich gegen Aristokraten, Advocate» 
und Gott weiß was sonst lür — caie»; daß solches 
Dero Herrn Sohn eiivas iinaiigenehni berührte, da er 
standesgemäß stch zn den Aristokraten zählt, ivird Ew. 
freiherrlichen Gnade» begreiflich sein. Noch eii, aiiderer 
eiivaS älterer Mann unterstütz,e de» fnngen Man» i„ 
llinen epaltirkeii und ereentrifcheii Reden, die sehr am 
uiirechiei, Orie zu sein Ichienci, liiit mich au die Ber- 
samnilungeu der sogenannten Coizimunisteii eriiiiieric, 
vor welchen Dero Herr Sohn und ich einen enlschiede- 
nen horreur hegen. Die gemäßigte Partei sümpfte 
vergebens mit den Waffe» der Vcrniinfk, der Präsident 
der Versammlung, ei» ältlicher Mann mit schwarzem 
Barte, der zwischen zwei Feuern zn stehen schic», suchte 
vergebens die Debatte ins' parlßiueiiiarische Gleis zu 
leite»; zuletzt ginge» die ModeradoS davon nud ließe» 
ihn mit den Epaltados allein, jedoch auch diese konnten 
sich am Ende nicht einig werden und aus dem Bürger, 
verein wurde zuletzt ein Bürgervernuein; eine totale 
Auflösung war das Ende vom Liede. Dero Herr Sohn 
und ich zpgen im8 bei Zeile» zurück um „ich! von den 
Eraltavos injurirt in werden. Ai,f unserem Zimmer 
stellten wir nun Reflepionei, an, was unter obwaltenden 
Umständen das Richtigere sei, hier bleiben oder ,nieder 
davon reise,,. Wir entschieden „ns baldigst für das 
Letztere. Erstens weil mir befürchteten, bei der gereizten 
Stimmung der Einwohner in Unaiiiiehinlichkeile,, zu 
gerathen, zweitens weil ,nährend der Landestrauer die 
Salons der haute vol.de geschlossen sind und Dero 
Herr Sohn also keine Gelegenheit haben würde, sein 
VerheiraihuiigSprojecl mit einer ebenbürtigen junge» 
Da,ne hiesigen Orkö in Ausführung zu bringen. Wir 
glaubte,, übrigens Anfangs eine große Auswahl in • 
dieser Beziehung hier zu finde», da wir aus den Pro. 
nienadr» sehr viel« Damen in der Landestrauer sahe», 
und es „ns aus den lehrreichen Mi,theiln,igen Ew. 
Gnade» bekannt ist, daß nach der Hofetikette nur die 
ersten Classe» der Rangverordiiung die Trauer anlege,,; 
gar bald aber brachten wir in Erfahrung, daß hier 
die honiictte Ambition so iveil geht, daß auch die hasse 
volee, die rdture wie Ew. Gnaden zn sagen pflegen, 
sich in Trauer hüllt, um ja recht vornehm zlt erfcheiiieu. 
Morgen früh werden wir solchergestalt diese Sladr 
wiederum verlassen und „ns „ach Hamburg begebe». 
Dero Sohn bittet seinen kindlichsten Respect zu ver. 
melden und mit der ticssteii Devotion nnd tinlerihänig- 
stem Gehorsam ersterbe ich Ew. hochsreiherrliche» Gnade» 
allerunlerthänigfler 
vr. Eisele. 
Rendsburg, den 24stci, Januar 1848. 
Beiträge zum Bau eines neuen Rathhauses 
hicsclbft. 
Dur» die 135ste wöchentliche Sammlung sind eiiiae- 
«anaen: 
in der Altüadr nnd »er dem Kronwerkenhere 
von 49 Gebern 12 3 ,3 
lm Neuwert und vor dem Neuenihore von ' 
46 Gebern 5 7 
/'"d dis jetzt in 135 Sammliingen^zmamm/n 
4345 nifi. 15 /3 einaeganacu. 
Rendsburg, den 27. Januar 1848. 
Steffens. Kasstrer. 
Hierzu eine Beilage. 
IßT Redst einer literarischen Beilage aus der Buchband, 
lung von F. Ä. Oderreich.
	        
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