VI. Gynäkologie: und Pädiatrik. . 253
künstliche Frühgeburt äls wirklich angezeigt betrachten kann,
bedeutende Zweifel gegen dieses Verfahren erheben: 1) die
Grösse des Kopfes lässt sich nie monatelang: vor Beendigung der
Schwangerschaft bestimmen; es könnte ja auch eine Frau mit
Ehgem Becken, sie sey nun Erstgebärerin oder nicht, ein Kind
Mit kleinem Kopfe gehären, selbst wenn sie früher schon mehr-
Mäls starke Kinder geboren hätte, dann würde: durch die künst-
liche Frühgeburt ohne Noth Mutter und Kind in Gefahr gesetzt
und die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung einer gesunden Frucht
Vernichtet; 2) da der Kopf schon mehrere Wochen vor Beendi-
Eung der Schwangerschaft ziemlich auw=gebildet ist, so erspart
Man, falls die Mutter ein starkes Kind trägt, ihr und der Frucht
die ang der Grösse des Kopfs entstehende Gefahr dennoch nicht
Mit Sicherheit; 3) meistens verrechnen :sich die Mütter in der
Zeit, zu welcher sie ihre Entbindung erwarten, eben ‘so wenig
kann dies der Arzt genau bestimmen; da nun vor der 36. Woche
geborene Früchte nur höchst -selten ‚und ‘unter den grössten
Schwierigkeiten am Leben erhalten werden, so ist die Beförde-
rung der künstlichen Frühgeburt vor diesem Termin gleich dem
Morde durch grobe Fahrlässigkeit, bei den Aerzten als Miss-
brauch des ihnen durch Amt und Ansehen bei den hülfsbedürfti-
Sen Frauen verschafften Vertrauens, um 80 strafbarer; zudem
Macht die Unregelmässigkeit der Wehen, und namentlich der
langwierigen, krampfhaften Nachwehen fast ‚alle Frühgeburten
Schmerzhafter als die zeitigen, und die schwerere Trennung des
Wreifen‘, als des reifen Eies, in deren Gefolge häufig Blutun-
Een, Krämpfe, Entzündungen erscheinen, bringt hinlängliche Ge-
Tahr. Wenn demnach‘ die. künstliche Frühgebaert,: selbst in
den Fällen, wo sie am besten passt, von höchst problematischem
Werthe ist, so steht dieser mit dem unendlichen moralischen
Nachtheile, den sie herbeiführen muss, in gar keinem Verhält-
Nisse;. denn sie giebt liederlichen und leichtsinnigen Mädchen,
Kupplerinnen,, unnatürlichen Müttern und Vätern ein leichtes und
Sicheres Mittel in- die Hände, wodurch sie sich ohne Aufsehen
Vor Schande bewahren, ‚von den Folgen heimlicher‘ Liebe und
Mwillkommener Fruchtbarkeit befreien können, und.verlockt diese
80 zu sagen zum Verbrechen. — Alle Regierungen sollten auf’s
Strengste ein Verfahren verbieten, das. vielleicht in: seltenen Fäls
len nützt, während es sehr leicht den abscheulichsten Zweeken
dienen kannz mindestens sollten sie dessen Bekanntwerden und
Weitere Verbreitung im Publicum, jedoch im Stillen, zu verhü-
ten Suchen, damit es nicht gerade durch Erregung der Aufmerk-
ymkeit noch bekannter werde, als es schon ist. ..[v. Siebold’s
“Urn. ete., Bd. XIII, St. 2, 1888.) (L—t.):