Full text: (6. Band = 1833, No 17-No 24)

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VI. Psychiatrie. 
Kind geboren, 8o griff sie ungestüm nach demselben, um ihm, 
wie sie sagte, den Kopf abzudrehen. K. liess die Entbundene 
in das Wöchnerinnenzimmer bringen, wo sie, gesondert von den 
Andern, in der Nähe der Wärterin gelagert und sorgfältig beob- 
achtet wurde, während eine andere Wöchnefin das Kind zu sich 
nahm. Obgleich sie völlig wach blieb, verhielt sie sich doch 
ganz ruhig im Bette nnd sprach nicht eher, als bia Nachmittags 
gegen 4 Uhr die Wärterin zufällig dicht an ihr vorbeiging, wor- 
auf sie verwundert fragte: wie sie in's Zimmer der Wöcherinnen 
komme? Die über diese Frage verwunderte Wärterin gab ihr 
die entsprechende Antwort, und als. nun die Wöchnerin durch 
Befühlen des Unterleibes: sich überzeugte, dass. sie wirklich ‚ent- 
bunden sey‘, erbat sie sich ihr Kind, das ihr aber verweigert 
wurde, weil sie demselben habe ein Leid anthun wollen. Im 
Fortgange des Gespräches gab die Wärterin höchst unvorsichtig 
ihr völlige Kunde von dem Vorgefallenen und versetzte sie da- 
durch in solche Aufregung, dass K. geholt werden musste. Die- 
ser fand die Wöchnerin in Trostlosigkeit und Zerknirschung, 
liess ihr daher zur. Beruhigung das Kind geben und sah nun 
eine ergreifende Scene der sich äussernden Mutterliebe und des 
Flehens um: Vergebung. Obgleich Tags darauf die Wöchnerin 
von Neuem in Aufregung kam, als sie den Arzt, gegen den sie 
sich thätlich vergangen hatte, um Verzeihung bat, 80 hatte dies 
doch keine nachtiheiligen Folgen auf ihre Gesundheit. Weder 
zu dieser Zeit, noch später, hatte sie eine Rückerinnerung von 
dem, was während ihres 18stündigen Kreisens und während der 
ersten 4 Stunden ihres Wochenbettes mit ihr geschehen, und es 
Jagen für sie die beiden Zeitmomente, als die Hebamme sie beim 
beginnenden Kreisen zuerst untersuchte und die Wärtewin nach- 
her an ihrem Bette vorüberging, dicht hintereinander. Die Wöch- 
nerin war nun wieder eben so bescheiden, freundlich und gut- 
willig, wie früher, pflegte ihr Kind sehr sorgfältig und verliess 
mit ihm vollkommen wohl am 3. Sept. 1816 die Gebäranstalt. 
Ob sie wieder schwanger geworden und ob bei der Entbindung 
die Geistesabwesenheit wieder zurückgekehrt ist, hat K. nicht 
erfahren können. — Wenn nun dieses Mädchen nicht in sorg- 
samer Obhut gewesen, sondern sich selbst überlassen geblieben 
wäre, die Einsamkeit gesucht und gefunden, ihr Kind getödtet, 
nach zurückgekehrtem Bewusstseyn das Vergehen erkannt und 
durch Verscharren des Kindes .verheimlicht hätte, — wer würde 
ihr wohl nach entdeckter That geglaubt haben, dass sie völlig 
willenlos gewesen und deshalb unschuldig sey? Der Verf, will 
durch Mittheilnng dieses ganz constatirten Ereignisses dem wirk- 
lichen Verbrechen durchaus keinen Vorschub thun, sondern nur 
dadurch aufmerksam machen, dass es höchst. wichtig sey, bei 
Beurtheilung: solcher Fälle nicht auf das Thatsächliche allein zu 
sehen, sondern auch alie damit irgend in Beziehung “stehenden 
früheren ‚und späteren Vorgänge vergleichend zu erwäyen und 
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