sein Puls langsam, seine blauen Augen lebhaft, sein sonst ra-
scher Gang jetzt Jangsamer, und beim Steigen spürt er Brustbe-
klemmung; er beklagt sich über das unaufhörliche Moralisiren
und die Eifersucht seiner 13 Jahre ältern Frau, die ihrem er-
sten Manne 8, und ihm 2 Kinder geboren. Er hält sich für
melancholisch, und die Aussagen seiner Frau und anderer Per-
sonen über ihn scheinen auf einen nicht selten wiederkehren-
den Raptus melancholicus zu deuten; er soll sich zu Hause nicht
selten wie ein Verrückter benehmen, bei der kleinsten Ver-
anlassung in den wüthendsten Zorn gerathen, und dann man-
cherlei gewaltthätige Handlungen verüben, z. B. Gegenstände
zerschlagen u. 8, w., doch will er sich derselben Tags darauf
nicht mehr erinnern können, — offenbar ein aus Affecten oder
Leidenschaften und: wahrer Geisteszerrüttung zusammengesetzter
krankhafter psychischer Zustand (Iracundia morbosa, KExcan-
descentia furibunda PrLaTNERI; une sorte d’emportement ma-
niaque sans delire, nach PıneL); ein Mittelzustand zwischen wah-
rer Manie und blossem Zorne, von dem Zorne gesunder Men-
schen sich unterscheidend durch die Leichtigkeit, mit der der
Zorn ohne alle Veranlassung in diese heftigen Anfälle von Wild-
heit und Wuth übergeht, von der Manie aber durch die Kürze
der Anfälle und den Gebrauch der unteren Seelenkräfte nach
denselben — ein Zustand der Unfreiheit, in welchem körperli-
che Krankheitsreize die normale Hirnthätigkeit stören und das
Vermögen, sich nach dem Vernunftgesetze zu bestimmen, we-
nigstens von Zeit zu Zeit, unterbrechen. — ‚Der Geschlechts-
trieb ist bei O. sehr rege, er übt den Beischlaf fast jede. Wo-
che mit seiner 64jährigen Ehefrau aus, obwohl ohne Feuer und
Kraft, theils Folgen halber Abneigung, theils der Trunksucht;
er leidet an heftigen, stinkenden Morgenschweissen bei denen
er sehr abmagert; je anhaltender und heftiger sie sind, desto
seltener äussert sich bei ihm der Begattungstrieb und so umge-
kehrt. — Seine starken . Molimina haemorrhoidalia , wenn sie
auch. zu einer periodischen Störung seiner Hirnthätigkeit etwas
beitragen, stehen doch in körperlicher Hinsicht den Wirkungen
der Trunksucht weit nach, die namentlich nachstehende wichtige
nachtheilige Folgen herbeigeführt hat: 1) seit mehreren Jahren
das tägliche, den meisten Branntweintrinkern eigenthümliche Wür-
gen und Erbrechen (vomitus heluonum e crapula) mit Beengung
in der Herzgrube und Angst; 2) heftiges Gliederzittern, beson-
ders in den obern Extremitäten, das erst nach dem Genusse
von Branntwein sich mindert und verschwindet; 3) eine bei oh-
nehin heftigem, jähzornigem, cholerischem Temperamente wi-
dernatürlich erhöhte Reizbarkeit des Gehirns, daher denn ge-
ringe psychische und physische Reize, besonders der Anblick
Seiner Gattin und Genuss von Branntwein, leicht UVeberspannung,
die in Furor transitorius mit allen seinen möglichen schädlichen
Folgen übergehen kann, bei ihm hervorbringen. — Wenn ©.
VI. Staatsarzneikunde.
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