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VI. Psychiatrie.
ein fremder Körper zu stecken schien. Mittelst eines kleinen
Kinschnittes wurde. eine feine, glanzlose Nähnadel herausgebracht,
von der das Mädchen nicht wissen wollte, wie sie in den Arm
gekommen sey. 3 Tage später wurde Knörer zu dem Herr
dieses Mädchens gerufen, um den angeblich wieder sehr schmer-
zenden Arm des Letztern zu untersuchen. Die Untersuchung
führte auf mehrere Stellen, wo fremde Körper im Arme zu sey®
schienen, die am ersten -Tage nicht wahrgenommen worden ws“
ren, und es wurden nach und nach 3 Nähnadeln, eine Steck-
nadel ohne Kopf und eine abgebrochene halbe Stopfnadel ausge“
schnitten. Die Nähnadeln glichen ganz denen, die das Mädchen
im Vortuche hatte, und wovon. sich auch ein Vorrath. bei der
Hausfrau fand. Wie diese Nadeln in den Arm gekommen, da-
von wollte das Mädchen durchaus nichts wissen. Tags darauf
wurden abermals 3 etwas grössere Nähnadeln herausgeschnitten
und man konnte deutlich die Stellen sehen, wo sie eingestoche!
worden waren. Dennoch läugnete das Mädchen, dass sie etwa®
davon wisse, wie diese Nadeln in den Arm gekommen wären
weil ‚man aber sah, dass dieses Spiel absichtlich fortgesetzt
wurde, suchte man, so viel es ging, dies dem Mädchen zu er-
schweren. Man legte einen eigenen Verband um den Arm% fand
diesen aber Tags darauf verschoben und abermals 2 Nadeln ein-
gebracht, die nun mit den vorigen 11 Stück ausmachten. Nu
konnte man nicht mehr zweifeln, dass alle diese Nadeln da®
Mädchen selbst sich eingesteckt habe, weil aber doch kein Be-
kenntniss erfolgte und man unbekannte Absicht, oder wohl selbst
wirkliches Irreseyn vermuthete, so wurde das Mädchen bei el
ner zuverlässigen Familie untergebracht. Die Eltern des Mäd-
chena versicherten unterdess auf das Bestimmteste: ihre Toch-
ter sey stets gesund und arbeitsam gewesen, habe sich gut
aufgeführt, und man habe nie an ihr irgend eine Spur von Ver”
rücktheit bemerkt. Nach vielem Zureden der Mutter gestand
sie endlich, dass sie sich die Nadeln wirklich selbst eingesteckt
und dass sie, als sie im Hause keine Nadeln mehr hätte bekom-
men können; andere gekauft habe, was sich auch bestätigte
Als Ursache ihres Vornehmens gab sie sehr bewegt an’, dass ihr
einst ihm Schlafe sehr deutlich ihre Grossmutter erschienen se)
und ihr drohend einen‘ starken Verweis darüber gegeben habe:
dass sie ein Mal an einem Sabbathe etwas genäht hätte. Zur
Strafe solle sie den Arm, mit dem-sie genäht, züchtigen, und
hierzu müsse sie sich in ihn solche Nähnadeln einstechen, mit
denen sie am Sabbath die Arbeit verrichtet hätte. Dies habe
sie als Befehl angesehen und sich daher verbunden geglaubt, dem
Winke der Verstorbenen Folge zu leisten. * Nach diesem Bekennt“
nisse wurde das Mädchen traurig, genoss wenig und verfiel i®
tiefe Schwermuth. Ihre Eltern nahmen sie hierauf in ihre Hel-
math zurück, um sie zur Arbeit anzuhalten „ die unter diesen Um-
ständen wohl das beste Heilmittel seyn wird. — In einer Nach“