Full text: (5. Band = 1833, No 9-No 16)

IL. Pathologie,‘ Therapie und medicinische Klinik, 275 
riger hagerer, schwächlicher Mann hatte sich in. kurzer Zeit 
durch erhitzende Getränke, namentlich durch bairisches Bier, 
ein Delirium tremens zugezogen, von dem er durch örtliche 
Blutentziehungen an der Stirn und Abführmittel, ohne Opium, 
geheilt. wurde. Kaum genesen, ergab er sich dem Trunke von 
Nenem und wurde wenige Tage nach seiner Entlassung aus dem 
Hülfslazareth der Charite in einem neuen Anfalle von Delirium 
tremens in einem höchst aufgeregten Zustande in dasselbe zu- 
rückgebracht. KEr lärmte und tobte so, dass er an’s Bett gefes- 
selt werden musste, zeigte sich aber am nächsten Morgen ru- 
hig und wurde daher seiner Fesseln entledigt. Bald darauf nä- 
herte er sich dem Fenster und stieg, wie er später angab, von 
einem unwiderstehlichen Triebe, der Aurora entgegen zu fliegen, 
ergriffen, nach UVeberwältigung des Wärters zum Fenster hin- 
aus, ging ruhigen Schrittes auf der Dachrinne des 15 Fenster 
in der Front haltenden Hauses entlang, und stürzte sich end- 
lich, mit. weit ausgebreiteten Armen, vom Dache des 4stocki- 
gen Hauses auf den mit Steinen gepflasterten Boden herab, 
Dessenungeachtet fand ihn T., der, als er von diesem Ereigniss 
hörte, den Unglücklichen todt glaubte, nicht nur lebend, son- 
dern bei vollem Bewusstseyn. Der rechte Oberschenkel aber 
war an 2 Stellen fracturirt, die rechte Patella gebrochen, das 
Knie derselben Seite bedeutend gequetscht und der Kopf, so 
wie der übrige Körper, an mehreren Stellen mit weit sich aus- 
dehnenden Kxcoriationen bedeckt. Unter diesen Umständen 
wendete man einige Tage Antiphlogisticea an, machte kalte Um- 
schläge; sorgte für passenden Verband‘ und unterstützte später 
die sinkenden Kräfte möglichst, was um so nöthiger schien, als 
bei dem an sich schwächlichen und gleichzeitig an syphilitischen 
Geschwüren leidenden Kranken sich aller Sorgfalt ungeachtet 
ein Decubitus bildete, der die ganze Gegend des heiligen Bei- 
nes einnahm und Zerstörung der Weichgebilde bis. auf die in 
grossem Umfange bloss gelegten Knochen herbeiführte, Durch 
zweckmässige Unterlagen und einen, unter Anwendung der 
Schwebe, täglich 2 Mal erneuerten Verband mit Dec. chin. und 
Tinct. myrrh. wurde indess, bei gehöriger innerer Behandlung, 
der Decubitus glücklich geheilt, die fracturirten Knochen ver- 
narbten, und der Kranke verliess nach einigen Monaten, bei völ- 
ligem Gebrauche aller seiner Glieder, gafßz wohl die Anstalt. — 
Bei diesem in mehrfacher Beziehung wichtigen Falle machte T. 
besonders nachstehende Beobachtungen: 1) mit dem Augenblicke 
des vollendeten ikarischen Fluges waren alle frühere so bedeu- 
tende Symptome des Delirium tremens urplötzlich verschwun- 
den, und es wurde später nicht die leiseste Andeutung dersel- 
ben wahrgenommen.‘ 2) Der Kranke litt schon während des er- 
aten Anfalles von Delirium tremens an syphilitischen Geschwü- 
ren, die, als er nach Beseitigung jenes Anfalles auf sein Ver- 
langen entlassen wurde, ungeheilt waren.. In der kurzen Zeit 
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