V. Staatsarzneikunde,
druck mit den Rissen bekommen hatte. [Henke’s Zeitschrift,
1832, 4. Vierteljahrheft.] (L—t.)
236. Ein Fall von Zornwuth in Folge von Trun-
kenheit und erlittener Körperbeschädigung; vom Med.
Rathe Dr, Schnemer in Fulda. J. S. aus J., Zimmergesell,
28 Jahre alt, robust und wohlgenährt, hatte sich in Gesellschaft
mehrerer Kameraden zur Kirchweihe in der Schenke durch
Tanz und reichlichen Genuss von Spirituosen, namentlich von
Bier, Branntwein und Wein durcheinander, sehr berauscht. Als
e8 zwischen ihm, seinen Freunden und den Burschen einer
anderen Gemeinde zur Schlägerei kam, wurde ihm ein Bierkrug
auf den Kopf geworfen, und er erhielt überhaupt, nach dem
ärztlichen Befunde, an verschiedenen Stellen des Kopfes 7 Ver-
letzungen, die sämmtlich sehr schmerzhaft, obwohl %icht gefähr-
lich gewesen seyn sollen; er stürzte nieder und lag einige Zeit
bewusstlos und ohnmächtig am Boden; endlich raffte er sich
wüthend wieder auf und verwundete einen der fliehenden Geg-
ner mit einem Brotmesser so, dass die Cruralarterie gerade
am Austritte des Lig. Poupart. durchschnitten wurde und der-
seibe bis zur Ankunft des Wundarztes bereits todt war. Vulne-
rat wurde verhaftet, die legale Untersuchung ängestellt und nach
geschehenem untergerichtlichem Urtheile gegen dieses ap-
pellirt. Das resp. Oberappellationsgericht verlangte nun darüber
ein Gutachten: „Ob bei dem J. S. in J. durch einen Wurf mit
einem Bierkruge, so wie überhaupt durch erhaltene sieben Kopf-
wunden, eine Betäubung habe hervorgebracht werden können,
welche, in Verbindung mit den Anfreizungen durch Tanz und
Trinken geistiger Getränke, den Inquisiten auf eine kurze Zeit
in den Zustand der Bewusstlosigkeit seiner Handlungen versetzt
haben könne?“ — Der Verf. antwortete nach Ermittelung des
angeführten aktenmässigen Vorganges, dass J, S., ein starker,
vollblütiger Mensch, als er in die obere Stube, wo die Burschen
einer anderen Dorfgemeinde tanzten, trat, durch die verschiede-
nen und schnell auf einander getrunkenen Spirituosa, schen in
höherem Grade betrunken und auch noch vom Tanze erhitzt ge-
wesen sey; hier erlitt er die erwähnten Misshandlungen , so dass
er betäubt niedersank; hierauf trat wilde Wuth mit noch anhal-
tender Besinnungslosigkeit ein; er lief thierisch und schäumend
den fliehenden Gegnern nach und misshandelte und tödtete ei-
nen in dieser Wuth und wahren Bewusstlosigkeit. In
solchen stürmischen Ausbrüchen der Affecte und Leidenschaften
gleicht (nach Henke) der Betrunkene dem Kranken im wilden
Fieberwahnsinne, ja selbst dem Rasenden. Erfahrungsgemäss wer-
den selbst von Natur sanfte, ruhige Menschen, vermöge der, ge-
steigerlen Reizbarkeit im Rausche,. durch Affect während der
Trunkenheit zu den gewaltsamsten Handlungen hingerissen. In
diesem Zustande vollendeter Trunkenheit sind Selbstbewusstseyn,
Freiheit und Vernunft durchaus gestört und aufgehoben, wenn
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