10 II. Pathologie, Therapie und medicinische Klinik.
heilen kann, denn es ist bekannt, dass das schnelle Schliessen
eines Fontanelles den Tod zur Folge hatte. Dies gilt aber be-
kanntlich auch von manchen natürlichen Geschwüren und beson-
ders von alten Beinschäden, Auf der andern Seite fehlt es nicht
an hinreichend bekannten Beispielen, dass die schwersten und
gefährlichsten Krankheiten oft auf einmal aufhörten und Alles
gut ging, wenn an den Füssen oder einem andern Theile Ge-
schwüre und Abscesse von freien Stücken oder zufällig entstan-
den, was doch Beweis genug ist, dass offene Schaden wirklich
im Stande sind, den Körper durch Entleerung schlechter, ver-
dorbener Theile zu reinigen. Da nun auch durch Zufall ent-
standene Geschwüre’ oft gleich gute Wirkungen hatten, so lag es
wohl sehr nahe, dass man dergleichen später absichtlich künst-
lich hervorrief , um wohlthätig in Krankheiten zu wirken, worin
man sich denn auch nicht täuschte, In der Folge ist man
noch weiter gegangen und hat die Fontanelile besonders zur Prä-
servation vor gewissen Krankheiten angewendet. Als Prophyla-
cticum gegen katharrhalische und rheumatische Krankheiten sind
die Fontanelle von jeher in grossem Ansehen gewesen. Man
hat sie ferner empfohlen, um den gefährlichen Folgen einer
vielleicht zu frühen Wegnahme des Weichselzopfes vorzubeugen,
um beim Tollen-Hundsbisse die lange in Kiterung erhaltenen
Wunden sicher zugehen lassen zu dürfen, und um ein Verwah-
rungsmittel gegen das Fleckfieber oder gegen den ansteckenden
Typhus zu haben. Neuerlich aber hat man in ihnen ein Schutz-
mittel gegen die Cholera gesehen. Die nächste Veranlassung
hierzu gab wohl die gute Wirkung der Fontanelle in Krankheiten,
bei denen es sich um Entfernung einer verdorbenen, schlechten
Materie handelte, sowie der Erfahrungssatz, dass eiternde Scha-
den oder aus andern Ursachen angewendete künstliche Geschwüre
vor ansteckenden Krankheiten sicherten. Es wurden nämlich
nach frühern Wahrnehmungen in Spitälern diejenigen nicht vom
Petechialfieber befallen, die offene eiternde Wunden hatten, und
in einer vor einigen Jahren in Ostfriesland herrschenden Wechsel-
fieberepidemie blieben Personen, die ein Fontanell oder ein an-
deres Exutorium trugen, oder an einer chronischen Hautkrank-
heit litten, von der Krankheit frei oder hatten, wenn ihnen
während des Fiebers eins gelegt wurde, nicht von den sonst so
häufigen Rückfällen zu leiden. Was die Cholera anlangt, so will
man besonders in Ungarn beobachtet haben, dass Leute, die
ein Fontanell oder eine spanische Fliege am Arme trugen, nicht
erkrankten. Dasselbe behauptete man später vom Habitus phthi-
sicus und der Lungensucht, und ehen so wollte man eine schü-
tzende Kraft äusserer Geschwüre und impetiginöser Affectionen
beobachtet haben. Wenn nun auch die Lungensucht nicht absolut
vor Cholera schützt, so kann ihr doch nach glaubwürdigen Nach-
richten eine relative, bedingte Schutzkraft nicht abgesprochen
werden. Um so weniger aber bedurfte es einer Entschuldigung,