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V. Psychiatrie.
Einheit. Das sich Verwandte, gegenseitig Befreundete sucht sich
in der Natur. So wie im makrokosmischen Leben Licht- und
Sauerstoff, so sind im Menschenleben das arterielle und Nerven-
system und die durch letzteres vermittelte psychische Sphäre
die ideellsten Potenzen. Nerv und Seele im Menschen suchen
daher Licht und Sauerstoff des‘ Universums; die Seele strebt
mittelst ihres Weltsinnes, des Auges, nach dem ihr befreunde-
ten Lichte; daher die Farben, in denen Licht vorwaltet, der
Seele mittelst des Auges wohlthunz daher Mangel des Lichtes
die Seele düster stimmt. Hiernach lässt sich auch die Symbolik
der Farben deuten. — Ein Vergleich des psychischen Lebens
des Bergbewohners mit dem des Thalbewohners macht uns Jene
Deutungen noch klarer; und ebenso muss man das den Gebirge-
bewohnern eigenthümliche Heimweh in psychischen Beziehungen
suchen. Der in’s Thal versetzte Gebirgsmensch ist seinen ideel-
len Potenzen, der vorwaltenden Lichtsphäre, entrissen, und Heim-
weh ist demnach nichts anderes als Sehnsucht der Seele nach
dem ihr verwandten Lichte in dem ideellen heimathlichen Lande.
Ausser diesem hiernach erwiesenen Triebe der Seele nach Licht
(Feuer) bleibt nun noch dieselbe Beziehung des arteriellen Le-
bens zum Lichte zu erörtern. bb) Bringt man mit dem Lichte
und Sauerstoffe die arterielle Sphäre in Beziehung (diese Beziehung
findet Statt, da das arterielle Leben seine Bedeutung nur durch
Sauerstoff und Licht erhält), so erklärt es sich, warum in den
Fällen, wo das arterielle Leben zurückgedrängt oder auf seine
Kosten das venöse gesteigert wird, sich auch ein Trieb der
Seele nach Licht, Feuer, entwickelt. Daher äussert sich zur
Zeit der Pubertätsentwickelung, wo des Blutes Tendenz. mehr ge-
gen die Sexualsphäre hin geht, die Begierde nach Licht und
Feuer, als einem stellvertretenden, aber nothwendigen Reize für
das an arteriellem Blute ärmer gewordene Organ der Psyche
überhaupt, und für das als sensorieller Factor der Psyche zu-
nächststehende, irritabilitätsärmer gewordene Sehorgan insbeson-
dere (OsıAnDER, üb. d. Selbstmord, S. 108.). Als Beleg dient
endlich noch das vorzugsweise Vorkommen des genannten Trie-
bes bei überhaupt zurückgedrängtem arteriellen und vorwalten-
dem venösen Leben. So z. B. kommt er bei dem durch über-
wiegende Venosität überhaupt sich charakterisirenden weiblichen
Geschlechte zur Zeit der Pubertätsentwickelung häufiger vor,
als beim männlichen. So zeigte er sich besonders bei Mädchen,
bei denen die Menstruation eintreten sollte oder sich verspätete.
Vor der Menstruation aber ist das Blut dunkeler, venöser, und
noch mehr, wenn jene zurückgehalten wird. Nach Os_tAanvEr
äussert sich bei den Cretinen, deren gleichsam versunkenes
Gehirn den Rückfluss des venösen Blutes hindert, eine Begierde
nach Feuer. Alte Thiere, namentlich Hunde und Katzen; bei
denen die arterielle Strömung nach dem Kopfe schwächer wird,
können oft stundenlang unverwandt selbst bei grosser Gluth in’s