Full text: (4. Band = 1833, No 1-No 8)

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Psychiatrie. 
Bemühungen ganz illusorisch seyn würden. Ihm steht nichts 
im Wege, den widersetzlichen Willen derselben zu beugen und 
sie seinen Gesetzen unterzuordnen , also Gehorsam an die Stelle 
schrankenloser Leidenschaft zu setzen. Wenn hierüber nie ein 
Zweifel war, sobald es Aufrechthaltung der Hausordnung einer 
Irrenanstalt galt, warum hat man diese Disciplin der Kranken nur auf 
die rohe Aussenseite ihres widerspenstigen Charakters beschränkt, 
ohne die innersten und ursprünglichen Regungen ihres Gemüthes 
an gleiche Zucht und Ordnung zu binden? Mögen PıneL und seine 
Anhänger immer sagen, dass der Arzt sich das Vertrauen der 
Kranken nicht durch Strenge und gebieterisches Betragen ver- 
scheuchen dürfe, dass Widerspruch die Kranken in Heftigkeit 
versetze, was neue Krankheitszufälle hervorbringen würde, und 
dass der Genesende durch peinliche Erinnerungen an frühere 
Verirrungen zu tief erschüttert und so Rückfällen Preis gegeben 
werden könnte. Diese Sätze sind ein Ausdruck der modernen 
Denkweise, die den Ernst aus dem Geschäfte der sittlichen Er- 
ziehung verbannt und es völlig übersicht, dass alle Selbstbeherr- 
schung nur aus Gehorsam gegen das Gesetz entspringt. Wich- 
tiger als die Aufgabe, das Vertrauen des Geisteskranken zu ge- 
winnen, ist die Regel, sich ihren Gehorsam zu verschaffen, ihnen 
den Widerspruch abzugewöhnen, mit dem sie heilsame Ermah- 
nungen von der Hand weisen, und sie durch Erkenntniss ihres 
verwirrten Zustandes zur Demuth zu stimmen. Dies Ziel erreicht 
man jedoch nur mit mühevoller Beharrlichkeit. Das Bewusstseyn 
der Pflicht geht erst verloren, wenn die Seelenkräfte gänzlich 
zerrüttet sind. Bis dahin ist es nur durch den leidensehaftlichen 
Aufruhr übertäubt: daher dämpfe man diesen, um jenes wecken 
zu können! Die Wahnsinnigen kennen ihre Fehler recht gut, sie 
können dieselben nur nicht aus eigenen Kräften unterdrücken. 
[st später ihr Gemüth zum Gehorsam und zur Bescheidenheit 
disciplinirt worden, so halte man ihnen ihr früheres Leben, das 
Gewebe ihrer "Thorheiten, den Ausgang ihrer Leidenschaften 
vor und setze sie durch geeignete Belehrung in den Stand, dar- 
über richtig zu urtheilen. Man lasse Ausflüchte der verletzten 
Eigenliebe nicht gelten, rüge Entstellungen der Wahrheit, kläre 
verworrene Ansichten auf und berichtige falsche Begriffe. Man 
wäge Lob, Tadel, Belohnung, Strafe, Hoffnung, Furcht, Milde 
und Strenge nach Verdienst ab, dass sie in Allem das rechte 
Maass erkennen lernen. — Um nun zu zeigen, wie I. die Auf- 
gabe, Geisteskranke zur Selbsterkenntniss zu bringen, zu lösen 
sich bemüht, theilt derseibe die Autobiographieen zweier aus 
der Irrenabtheilung der Charite als geheilt entlassenen jungen 
Studirenden mit, von denen der eine aus Schwärmerei und 
Fanatismus in Tobsucht verfiel, der andere, ein Jude, durch 
Streitigkeiten mit Vater, Bruder und Bekannten, wodurch der 
Gedanke eines gegen ihn eingeleiteten Complots entstand, An- 
fälle von Raserei und Tobsucht bekam. Wörtlich mitgetheilt
	        
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