{I Pathologie, Therapie und medicinische Klinik. 403
Trägheit des Darmkanales so gross, dass, wie bei der ausgebil-
deten Dysenterie, eine wirkliche Verstopfung sich vorfindet.
Mehrere trockene Pflaumen, die ein Kranker vor seinem KEr-
kranken ungekaut verschluckt hatte, gingen unverdaut in der
Reconvalescenz nach 4 Tagen ab. Ein Anderer, der vorher
weichgekochte Linsen gegessen hatte, entledigte sich derseiben
unverdaut, so viele geruchlose Choleraausleerungen er auch ge-
habt hatte, erst nach 6 Tagen, und bei einem Mädchen, bei der
die Cholera ein gastrisches Fieber unterbrochen hatte, trat in
der Reconvalescenz der gastrische Zustand wieder auf, wobei
eine sehr grosse Menge übelriechender unverdauter klumpiger
Massen abgingen. — Dass nach dieser Darstellung des Wesens
der Cholera die Krankheit nicht füglich in mehr als Einem
Stadium verlaufen könne, bedarf wohl kaum einer Erinnerung,
da sie gleich mit dem letzten denkbaren Stadium beginnt, indem
vollkommene Lähmung des Herzens und der Arterien nothwendig
unmittelbaren Tod zur Folge haben muss. Aus diesem Grunde
kann auch nie von kritischer Entscheidung der Cholera die
Rede seyn, sondern die Heilung ist nur durch Stehenbleiben
des begonnenen Todesprocesses und der wieder zur belebenden
Thätigkeit erwachenden Energie des Körpers möglich. So gut
es auch ist, wenn der fast geschwundene Puls voller wird, die
erkalteten Glieder sich wieder wärmer anfühlen, ein allgemeiner
reichlicher Schweiss hervorbricht und Harnabgang erfolgt, so
sind doch diese‘ Erscheinungen nicht als kritische anzuführen,
da sie Producte, nicht aber Mittel des Sieges sind, den der
Organismus über das das Leben so sehr bedrohende animali-
sche Gift erfochten hat. Hiernach kann auch ein Uebergang
der Cholera in ein typhöses oder congestives Stadium
nicht angenommen werden, sondern man muss den folgenden
Typhus und die Entzündung lediglich für Folgekrank-
heiten halten. Mit dem Siege über die begonnene Lähmung
endigt die Cholera, und es würde weit öfterer, als es geschieht,
völlige Herstellung erfolgen, wenn nicht durch den frühern
Krankheitsprocess Reizbarkeit und Wirkungsvermögen gleich er-
griffen gewesen wären und nun nothwendig ein Schwanken die-
ser Potenzen eintreten müsste, ehe sie sich ins Gleichgewicht
stellen. Gewöhnlich bekommt hierbei die leichter erregbare
sensible Sphäre das Uebergewicht, wodurch ein so leicht tödt-
licher Typhus hervorgerufen wird. Wo dagegen die irritable
Sphäre überwiegend wird, treten Localentzündungen, besonders
der Organe des Unterleibes auf. Es ist somit erklärlich, wie
zo sehr rasch nach der Cholera bei einem und demselben Kran-
ken bald ein drohender Typhus, bald wieder eine Entzündung
des Bauchfelles und der Därme die ärztliche Thätigkeit in An-
spruch nehmen, wobei die grösste Umsicht nöthig ist, da eines
Theiles diese Zufälle eine kräftiges Einschreiten heischen, an-
derentheils aber dies durch die geringste Veberschreitung des
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