198 I. Pathologie, Therapie und medicinische Klinik.
Es sind unvollkommene Ansteckungen. 4. Die Cholera pflanzt
sich also fort durch Uebertragung, d.h. durch An-
steckung, den Begriff im weitesten Sinne genom-
men. Diese Uebertragung geschieht a) durch persönliche
Mittheilung. Unbestreitbare Beispiele haben diese Verpflan-
zung der Krankheit von einem Kranken auf einen Gesunden
durch Berührung und nächste Atmosphäre erwiesen, obschon
dieselbe nur selten, nur unter hegünstigenden Umständen ge-
schieht und höchst relativ ist. b) Durch Mittheilung auf
atmosphärischem, oder einem andern noch ganz unbe-
kannten Wege. Dafür sprechen folgende unwiderlegliche
Erfahrungsgründe: 1) die Krankheit pflanzt sich oft, trotz al-
ler Verbindung, von einem Orte zum andern nicht fort, son-
dern kommt plötzlich an einem, oft viele Meilen entfernten
Orte zum Vorscheine, wo sich gar keine Ansteckung nachweisen
lässt; z. B. nach Berlin trat sie in Magdeburg auf und liess
Brandenburg, Genthin, Belitz, Treuenbrietzen, Wittenberg, wo-
hin eben so besuchte Landstrassen gehen, und mit denen ein
ugaufhörlicher Verkehr Statt findet, verschont; von Wien
verbreitete sie sich westlich nach Wels, Linz, nicht aber süd-
lich; von Sunderland erst nach Edinburgh, später nach London;
Hannover ist noch frei geblieben, ungeachtet der nahe gelege-
nen inficirten Orte Magdeburg, Lüneburg, Hamburg. 2) Es
wurden Menschen von der Cholera befallen, bei welchen keine
Spur von persönlicher mittelbarer oder unmittelbarer Mittheilung
nachzuweisen war, ja mehrere zugleich, die sich gemeinschaftlich
einem groben Diätfehler, einer Erkältung ansgesetzt hatten.
Selbst in Oertern, als Danzig, Hamburg, Sunderland, Isie de
France u. s. w. war nicht die geringste Spur einer Mittheilung
von aussen nachzuweisen.. 3) Die sorgfältigste Absperrung so-
wohl einzelner Menschen als ganzer Häuser konnte die Mitthei-
lung der Krankheit nicht abhalten; auch wurde sie, z. B. in
Berlin nach Aufhebung der Sperrmaassregeln durchaus nicht
vermehrt. 4) Selbst auf offenem Meere bekam ein englisches
Schiff, das aus dem damals noch ganz von der Krankheit freien
England kam und mit Niemand unterwegs Gemeinschaft ge-
habt hatte, in der Nähe von Riga Cholerakranke. 5) Die Fluss-
gebiete ziehen offenbar am meisten die Krankheit an, halten sie
fest und leiten sie fort. Die Weichsel, die Oder, die Elbe, die
Donau. 6) Man hat an mehreren Orten beobachtet, dass nach
dem KEintritte der Chol. sogleich eine sehr grosse Zahl von Men-
schen, an andern hingegen nur ein oder zwei Individuen ergrif-
fen‘*wurden, was beides der persönlichen Mittheilung widerstrei-
let. — 5. Die orientalische Cholera ist folglich zwar
ansteckend, aber nicht absperrbar. Dies wissen wir
gewiss; denn, wie aus dem Obigen erhellt, reicht die persönli-
che Mittheilung zur Erklärung der Erscheinungen nicht zu, und
über den zweiten Weg der Mittheilung und Verbreitung, den