Full text: (Bd. 2 (Jahrg. 1832) = No 9-No 16)

IV. Staatsarzneikunde, 
117 
schen - Krankheitem geschieht in den meisten Fällen durch die 
Natur selbst; die.der moralischen ’aber kommt nie von selbst zu 
Stande. Der eigene kräftige, durch moralische Einwirkung her- 
vorzurufende Entschluss des damit Behaftelen ist das einzige 
Heilmittel. 12) Psychische Gesundheit kehrt mehr oder minder 
plötzlich zurück ; die moralische Krankheit ist nur allmählich aus- 
zurotten. IV. Die Vermengung von psychischer und moralischer 
Krankheit, so wie manche andere Verwirrung in der Lehre von 
der Zurechnungsfähigkeit, scheint dadurch herbeigeführt. dass 
man die. Unfreiheit als das wesentlichste und charakteristi- 
sche Merkmal psychischer Krankheiten betrachtet hat. Wie der 
Begriff von Unifreiheit bis jetzt‘ in der Lehre von der Zurech- 
nungsfähigkeit angewand; worden, ist er so schwankend und un- 
bestimmt, dass bei der Annahme: Unfreiheit hebt die Zurech- 
nungsfähigkeit auf, jeder Verbrecher von der Zurech- 
nungsfähigkeit losgesprochen werden könnte. Die 
Freiheit (von. bösen Gelüsten, Leidenschaften. u. 8. w.), welche 
Vernuuft und Gewissen uns als. das höchste Gut erkennen Jehrt, 
wird. dem Menschen. nicht angeboren, sondern sell errungen 
werden in stetem und schwerem. Kampfe mit der Sinnlichkeit; 
allein wie der bessere Mensch ‚auch ringe und strebe mit aller 
Kraft seines Geistes, vollkommen, erreicht er sie nic auf Erden, 
Wie kann man. nun. aber deu Begriff von Freiheit nur als abso- 
lute oder moralische Freiheit auffassen, jeden Menschen: für ei- 
nen mehr oder minder Unfreien halten und dennoch die Unfrei- 
heit als das unterscheidende Merkmal der psychischen Krankheit 
ansehen? Das Wort Freiheit muss in ganz verschiedener Be- 
deutung gebraucht werden. Es giebt eine vollkommene,. ab- 
solute, vernünftige und moralische Freiheit, das höchste, 
aber unerreichbare Ziel menschlichen Strehens. Es giebt eine 
allgemeine menschliche Freiheit, deren jeder Mensch theil- 
haftig ist. Diese, die menschliche Willkühr, nicht. aber 
jene höhere, vernünftige Freiheit, ist es, auf deren Vor- 
handenseyn sich die Zurechnungsfähigkeit gründet. Der Mensch 
kann sie nur in krankhaften Zuständen verlieren. Wo. er sie 
aber verloren hat, da findet keine Zurechnungsfähigkeit Statt, 
sey es denn, er hätte jenes Gut mit eigenem Wissen und Wil- 
len hingegeben (wie es z B, in der Trunksucht der Fall seyn 
kaun). Kommt der Mensch um seine Freiheit durch psychische 
Kraukheit; so befindet er sich in dem Zustande psychischer 
Unfreiheit, die ihn gegen Strafe schüizt. Verliert er sie 
durch Immoralität;. so ist er im Zustaude moralischer Un- 
freiheit, die, fussend auf der Wahrheit: dass kein Mensch 
lasterhaft wird ohne alles eigene Verschulden, ihn 
nicht von Bestrafung freispricht. Beide Unfreiheiten «ind sich 
entgegengesetzt; sie verhalten sich wie psychische und morali- 
sche Krankheit, und ihre Vermengung und Verwechselung ist 
von den bedenklichsten Folgen für die Lehre von der Zurech-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.