I. Anatomie und Physiologie, 393
werde. Sannırorr und Sömmerrıne glauben, dass der weiche
Gaumen nicht allein hinten herab, sondern auch zugleich nach
vorn zu gezogen und zugleich durch die obern Schlundkopf-
schnürer an die Zunge fest angedrückt und dadurch den Spei-
sen und Getränken der Eintritt in die Choanen verwehrt werde.
ROsEnNMÜLLER und SöMMEERING (an einem andern Orte) scheinen
sich der Wahrheit am meisten zu nähern. Um zu einer rich-
tigen Vorstellung von der Function des weichen Gaumens beim
Schlingen zu gelangen, muss man sich diesen durchaus doppelt,
als einen vordern und hintern Gaumenvorhang denken. Ferner
muss man sich an einige Gesetze erinnern, welche den Bewe-
gungen der Muskeln des organischen Lebens im Allgemeinen und
der peristaltischen Zusammenziehung in specie zu Grunde lie-
gen, denn diese herrschen hier vor den animalischen vor. Ob-
gleich das Schlingen zum Theil ein willkührlicher Act ist, so
sind es doch die Bewegungen mehrerer dabei thätigen Muskeln,
vorzüglich der des weichen Gaumens, keinesweges. Diese
ziehen sich vielmehr nur dann zusammen, wenn sie entweder
durch die sie berührenden Gegenstände, oder durch sympathi-
sche Affection, bei Zusammenziehung der mit ihnen in genauer
Verbindung stehenden Muskeln, erregt werden. Dem zufolge
ziehen sich in der Regel die Constrictoren eben so, wie die
der peristaltischen Bewegung der Eingeweide vorstehenden mus-
kulösen Membranen, nur dann zusammen, wenn sie durch die
sie berührenden Gegenstände gereizt werden, und zwar in der
Ordnung, wie sie gereizt werden. Endlich ist es zweckmässig,
den Weg der Speisen vom Munde zum Magen in 3 Stationen
zu theilen. Die erste geht von den Lippen bis zu dem vordern
Gaumensegel; die zweite (der Act des eigentlichen Nieder-
schluckens) umfasst denjenigen Theil der Reise, den die Spei-
sen vom vordern Gaumensegel an bis zu den Constrictoren des
Pharynx inclusive zurücklegen, d. h. bis dahin, wo sie von
den Constrictoren in Empfang genommen worden sind; die
dritte Station umfasst den Weg durch den Oesophagus. Die
erste Station läuft horizontal, die zweite diagonal, indem sie
einen sanften Bogen um einen rechten Winkel herum macht,
die dritte perpendikulär. Jede hat ihr Eigenthümliches; nur
die zweite kommt hier in Betracht. In keiner Station wird
einer von den beiden Gaumenvorhängen in eine horizontale
Lage gebracht, in keiner hinaufgezogen und gegen die Choanen
geschlagen, in keiner herabgezogen. Im Momente des An-
treffens der Speisen u. 8. w. an den vordern Gaumenvor-
hang wird der Gaumenspanner gereizt und durch ihn der obere
weiche Gaumen angespannt und ein wenig nach vorn geneigt,
vorzüglich die obere, an den harten Gaumen angränzende
Hälfte. Beweis: Führt man den Finger an den weichen Gau-
men und versucht zu schlucken, so fühlt man deutlich eine
Anspannung und einen Druck des Gaumens gegen den Finger.