[L. Pathologie, Therapie und medicinische Klinik. 269
die gute Beschaffenheit des Bodens, ' das leichte Ablaufen des
Wassers, die geringe Anzahl der Bevölkerung und das Hin- und
Herwogen der das lange Nilthal durchstreichenden und reinigen-
den Luft das Entstehen dieser fürchterlichen Krankheit verhü-
ten, oder ihr, wenn sie ja ausbräche, den contagiösen Charak-
ter nehmen. — Dass der Nil durch Ueberschwemmungen zur
Erzeugung der Pest beitrage, ist gewiss, und man hat gesehen,
dass sie nach einer starken Ueberschwemmung sowohl, als nach
einer geringen eingetreten ist. Ein ungewöhnlich niedriger Was-
serstand des Nils hat auf die Entstehung der Pest nur einen in-
directen und entfernten Einfluss. Man hält danach eine schlechte
Erndte, es entsteht Theuerung und Hungersnoth, und die ge-
schwächten Körper können den gewöhnlichen krankhaften Po-
tenzen minder widerstehen; es zeigen sich gefährliche Fieber,
und bald erscheint die Pest und macht schreckliche Verwüstun-
gen. Nach einer ungewöhnlich hohen Ueberschwemmung des Nils
hingegen werden grosse Massen thierischer Substanzen aufgewühlt
und beim Zurückweichen des Wassers zu Tage gelegt, worauf
sich bald die Pest einfindet. Gefährlichere Hülfsursachen aber,
als die Ueberschwemmungen des Nils, sind die häufigen Regen-
güsse, welche im November, December und Januar in Aegypten
fallen. Sie lösen nicht nur die Gräber, sondern auch den ge-
waltigen, die Dörfer umgebenden Unflath theilweise anf, und
wenn sie aufhören, so fangen nun sehr leicht die faulenden
Stoffe an zu gähren, und ganze Gegenden sind nichts als ein
Laboratorium von pestilenzialischen Dünsten, die auf allen‘ We-
gen in den Organismus eindringen und sich besonders in den
Kleidern ablagern. — Was die Contagiosität anlangt, so ist die
Pest allerdings nicht immer contagiös, denn sonst würde das
Morgenland schon lange ganz verödet seyn; allein sie ist es
manchmal in einem unglaublich hohen Grade, und sie pflanzt
sich sowohl durch directe Impfung und durch den Contact, als
durch das von dem Kranken in dessen Kleider ahgesetzte Gift, be-
sonders aber durch das fort, welches von rohen Stoffen, aus denen
man später Gewebe verfertigt, eingesaugt wird. Warum sie nicht
immer contagiös ist, lässt sich nicht bestimmen, anch kann man zu
einer Zeit, wo es helfen könnte, nicht angeben, ob sie im ge-
rade vorliegenden Falle ansteckend oder‘ nicht ansteckend ist,
weshalb man sich oft nur gegen eingebildete Gefahren schützen
muss. Uebrigens ist nicht nur in dieser, sondern auch fast in
jeder andern Hinsicht die Pest im Widerspruche mit sich selbst
und bietet durchaus nichts Feststehendes dar, sondern erscheint
als ein wahrer Proteus. — Beleuchtet man das, was über die Ur-
sachen der Pest bisher bloss angedeutet wurde, genauer, so wird
man bald finden, dass sie nur durch Fanatismus, Unwissenheit
und verbrecherischen Geiz (da, ‚wenn der Eigenthümer eines
Dorfes ‚starb, dem Pascha dieses zufiel, der es nım wieder ver-
kaufte) so lange gehegt wurde, und dass sie durch Aufklärung,