Full text: (Neueste Folge, Band 16 = 1841, No 1-No 8)

10 Pathologie, Therapie und medicinische Klinik. 
Armen, die kein „Sich gehen lassen“ gestattet, dürften diese 
Erscheinung erklären. Bemerkenswerth ist ferner, dass die 
Krankheiten der Armen ■viel einfacher sind, weniger complicirt 
verlaufen und das unleidige Nervenspiel dem Arzte in der Be 
handlung nicht so hemmend entgegentritt. Auch findet man 
hei ihnen wenig Hypochondrie und Hysterie, beide Kinder der 
Phantasie, meist Symptome eines vollsaftigen Bauches; denn 
die Phantasie der Armen verkümmert, weil sie das harte Le 
hen nur zu sehr mit der Wirklichkeit, mit der Sorge um ihr 
Dasein beschäftigt. — Ehe der Yerf. von den Mitteln zur Hei 
lung der Krankheiten der Annen spricht, bemerkt er aus Er 
fahrung, dass die erste Anzeige schon dadurch erfüllt ist, dass 
der arme Kranke weiss, sein Arzt, um den er gebeten und um 
dessen Herbeiholung er oft einem Menschen zahlen musste, sei 
ein Mensch, der, aller Vorurtheile loss, nur zum Menschen 
komme und den reinen Willen, zu helfen, mit sich bringe. 
Hierdurch ist es dem Arzte viel leichter möglich, genaue und 
wahre Relation des Krankheitszustandes zu erhalten; denn in 
dieser vertrauungsvollen Hingebung des Kranken liegh eher seine 
Natur gleichsam moralisch vor, als wenn er furchtsam dem Arzte, 
wie einem hohen Herrn, der sich allenfalls ans Mitleid, oder 
weil es seine Anstellung mit sich bringt, zu ihm herablässt, 
seine Leiden offenbaren muss. Die Humanität ist und soll die 
Basis sein, auf der die Handlungen des Arztes beruhen müssen; 
die Basis der Humanität aber ist das Herz des Arztes, darin 
auch unverkennbar in schweren Fällen das nur allein durch 
dasselbe gültige Urtheil schon vorgebildet liegt, daher nur die 
menschenfreundliche Praxis allein Aerzte erziehen wird; denn 
der Arzt, der Gemiith hat, wird auch mehr erfahren können, 
weil ihn die Kranken mehr suchen, als den kalten, abstracten, 
wenn auch denkenden Heilkünstler. Die in jedem Menschen, 
sei es auch der ärmste, verlassenste und körperlich hinfällig 
ste, schlummernde geistige und moralische Kraft zu erwecken 
und durch liebende Theilnahme mächtig anznfachen, bleibt eine 
Hauptaufgabe des Armenarztes, und wer ihr nicht entspricht, 
hat sein Werk nur halb gethan und dem schönsten, edelsten 
Thcile der Kunst freiwillig entsagt. Nebst diesem moralischen 
Einwirken des Armenarztes auf den Kranken muss man noch 
weiter erwägen, ob der Arzt mit seinen wissenschaf tlichen Ver 
ordnungen unter gegebenen Umständen helfen kann, oder ob 
diess durchaus vermöge allzu grosser Noth unmöglich ist? Im 
ersten Falle wird der menschenfreundliche Arzt freudig seine 
Pflicht thun, im zweiten giebt es für den armen Kranken kei 
nen andern Ausweg, als das Krankenhaus. Viele gehen wohl 
gern in dasselbe, doch wie schwer ist diess da, wo die Kranken
	        
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