Full text: (9. Jahrgang)

— 1472 — 
ungefämmtes Haar, er achtet e8 nidOt, feine Tränen mifdhen 
fig in die Regenjtröme, die über fein Geficht rinnen. Wie ift 
es doch jhmwer, Gott zufriedenzuijtellen! € kommen die Kal- 
ten Nächte, unjer Guru Hat keine Heimitätte, Unter einem 
Baum fit er hingefunken. Nach dem Schlaf auf harter, unebe- 
ner Erde, wo die Ameifen ihr Wejen treiben, und die Skorpi- 
onen in den Löchern liegen, zählt er die Glieder feineS Rofen- 
franze8 und nennt zum hunderttaufenditen Male den Namen 
Vijhnus, Hit das der reihe, vornehme, gelehrte Guru? E$ 
war zum Wahnfinnigwerden, 
Er fommt zum Priefter zurück: „Heiliger Mann Gottes,“ 
jagt er, „id habe alles getan, aber ih habe keinen Frieden, wo 
finde ih Frieden?“ Gemwiß, richtig. der Fall mar fHwierig, das 
bisher Getane war zu wenig. € wird daran liegen, daß er, 
ehe er in diefe Welt kam, in einem früheren Erdenleben ein 
Erzihlingel geweijen i{t, da Hatte man e3 ja. DaS mar aber gar 
nicht tröjtlidh. Nun muß er auf der Priejiter guten Kat hin 
die „große Pilgerfahrt“ unternehmen. Zuerit ging e8 mit 
neuem Mut, getrieben von der Sehnfucht nah Gott, zum Tem: 
pel der Göttin Kali. Calcutta, Xakijtadt, hat den vornehmiten 
in ganz Bengalen. Hier opfert und betet er. Kaum wagt er 
das blaue Gögenbild mit dem SHädelhalsband und der OIuti- 
gen Zunge, die aus dem Munde Lang heraushängt, anzırjehen. 
Soll das bluttriefende Schwert in ihrer Hand ihın Frieden ge- 
ben? Was follen die noch Glutigen Menjchenhände, die an ih- 
rem Gürtel hängen, feiner Seele Jagen? Der Boden, auf dem 
er vor dem Bild Liegt, it mit Blut bedeckt, mie ijt jein Kleid De: 
fudelt? Viele Tiere werden ihr täglich geopfert. Sie Iiebt das 
Blut, und Blut will fie, fie wmatet im Blut, Blut trinkt fie, Der 
Guru opfert ihr viel Blut, Frieden aber fand er nidht. Weiter 
muß er pilgern: Den Ganges entlang auf der alten ausgetre- 
tenen Pilgeritrake. In jedem Tempel „macht“ er Anbetung, 
jein Rofenkranz it wie poliert, unaufhörlich gleitet er durch 
jeine Hand. Er Lebt vom Betteln, das ift jedr verdienftlih, End: 
lih kommt er nah Kaft (Benare8), der Heiligen Stadt mit den 
1470 Tempeln. Sr eilt von einem Tempel zum andern und 
wieder die Steinijtufen hinunter in die trüben Fluten des 
Ganges. Er opfert den Heiligen Kühen und falbt ihre Hufe, 
er füttert die heiligen Affen und tut alles. Die untergehende 
Sonne funfelt in den goldenen Dächern der Tempel, aber in 
feiner Seele ift’3 Nacht. Weiter eilt jein Fuß den Ganges aufs
	        
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