Full text: (2. Jahrgang)

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Wohnung betrittjt, Aber der Herr 
ift e8, der dich fendet.“ 
„Sehr gut“ fagte der Priefter. 
„Du wirfft dich nieder in den Staub 
vor deinem himmlijdhen Vater, den 
niemand fehen kann und mir ge- 
mährft du nur „chin-chins“ (eine 
Berbeugung). Ich werde dir nichts 
mehr bringen und uun fieh zu, wie 
dur fertig wirft!“ . 
Der Priefter hielt Wort. Die 
nächfte Woche verging und der Leine 
Borrat Ihmand; endlich war der 
ießte Biffen verzehrt. — — 
Darum alfo faß Li traurig 
in feinem Zimmer und märmte feine 
abgemagerten Hände am Holzfeuer, 
e$ mar ja feine einzige irdifche Be- 
haglichfeit. Er Hatte gebetet und 
immer mieder gehofft, daß das Ge: 
fürchtete nicht cintreten möchte. 
Aber der Tag und die Stunde, in 
der fein Neffe ihn zu befuchen 
pflegte, war verfirichen. „Bon ihm 
ft nichts mehr zu Hoffen“, fagte 
der alte Mann zu fih, „ih will 
nur auf Gott bliden. Wenn Cr 
mich verläßt, muß ich verhungern.“ 
Er Iniete nieder und fchüttete fein 
Herz vor dem aus, der allen ihre 
Speife giebt zu feiner Beit. 
Während feines Gebetes brach 
blöGlich ein großer Lärm auf dem 
Sofe aus, Sr ging hinab, um 
nach der Urfache zu forfchen, und 
al8 er tie Thür Sffnete, fiel ihm 
zu feiner Vermunderung ein großer 
Maiskfolben vor die Füße. Er 
blite einpor und fah über feinem 
Daupte in der Luft zwei Lämpfende 
und Freifchende Geier. Hatıen fie 
den Maiskolben fallen laffen? Sr 
zing einen Schritt vorwärts und 
fand ein Stück Gammelfleifch, 
da3 augenfcheinlih dem andern 
Kämpfer in dem Gefechte‘ entfallen 
mar. Die Raubvögel maren wieder 
Boten Gottes gewejen, ähnlich wie 
zu den Zeiten des Elias. Li blidte 
dankbar auf die unerwartete Gabe, 
jtellte den Kochtopf ans Feuer und 
während das Fleifch kochte, Iniete 
er nieder, um für die Önade des 
himmlifchen Vaters zu danken. 
Während bdejffen trat der 
Priefter Herein. Sein Gewiffen 
hatte ihm Feine Ruhe gelaffen, menn 
er an die Not feineS armen, alten 
Obheims dachte. Deshalb fteckte er 
ein Paket mit Nahrungsmitteln in 
jeinen langen, meiten YWermel und 
machte fich auf den Weg zur Woh- 
nung des GreifeS, den er mit den 
Worten „hHin-hin, echrwürdiger 
Onfel, mo ift Gott?“ begrüßte. 
Voller Freude Lüftete der alte 
Mann den Topfdeckel und zeigte 
"einem Vermandten den wunderbaren 
und rechtzeitig eingetroffenen Vorrat, 
der ihm von feinem himmlifchen 
Bater befchert worden mar. Als 
der Priefter die Gefchichte gehört 
hatte, 30g ec fiilfchmeigend Das 
Paket mit Lebensmitteln aus feinen 
MHermeln, reichte e& dem Onkel und 
ging verlegen von dannen, Sein 
Slaube an feine eigenen, gejhaffenen 
Bötter war durch diefen Beweis 
von Gotte8 Vatertreue erjchüttert, 
SHebt hat er fchon lange das 
Priefteramt niedergelegt und die 
Gögen, die ec 30 Yahyre lang ver: 
ehrt hatte, verlaffen. Sr ift jebt 
ein Diener der chriftlicdhen Kirche
	        
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