Il. Materia medica und Toxikologie, 89
1
konnte weder die Wöchnerin noch ihre Mutter Auskunft ge-
ben, Alles Abgegangene war vergraben worden; es blieb da-
her nichts übrig, als die Wöchnerin zu untersuchen. Diese
zeigte sich hierzu bereit, und mittelst einer bequemen und
zweckmässigen Lage und der Beihülfe eines Gehülfen gelang
es, den Uterus aus der rechten Seite der Axe des Beckens
näher zu bringen. Mit Mühe erreichte B. den hochstehenden
Muttermund , fast an der rechten Symphysis sacro-iliaca, et
war offen und leer, hinter ihm stiess B. auf eine weiche elasti-
sche Masse; es war die Nachgeburt, deren man aber mit den
zwei untersuchenden Fingern nicht habhaft werden konnte,
Man liess nun die Wöchnerin von dem Wendungslager neh-
men und in aufrechter Stellung , unter leichtem Drängen, Räus-
pern und Husten den Urin lassen, In diesem fanden sich Frag-
mente der. Deciduma Hunteri, die Lochien flossen in einem
Strome, die Nachgeburt aber blieb zurück. So wenig auch
diese Untersuchung resultirte, ergab sie doch das Dasein der
Placenta im Uterus und liess die Diagnose der Krankheit fest-
stellen. Die Krankheit wurde für ein anomales, sehr heftiges
Milchfieber erklärt, begründet in der im Uterus zurückgebliebe-
nen, jetzt halb fauligen Nachgeburt , die theils mechanich , theils
chemisch-dynamisch auf ihn agirte, Die Reaction der Natur
hatte bis Jetzt umsonst die Nachgeburt auszustossen versucht
und die hierbei hervorgerufenen heftigen krampfhaften Beschwer-
den hatten bisher die Milchsecretion als Krisis der Krankheit
gehemmt. — Sehr kräftige Mittel waren bereits erfolglos an-
gewendet worden, und eine mechanische Entfernung der Pla-
centa verbot die grosse und sehr schmerzhafte Empfindlichkeit
des fast contrahirten Uterus, welche schon bei der vorsichtig-
sten Untersuchung so viele Schwierigkeiten dargeboten hatte. —
Man beschränkte sich daher zuerst auf krampfstillende innere
Mittel, eröffnende Klystiere (seit 24 Stunden war Pat. ohne
Oeffnung) und auf Einspritzungen in die Vagina von Chamillen-
thee und Honig; der Abgang der Nachgeburt aber sollte der Na-
tur allein überlassen bleiben. — Schon nach einer Viertelstunde
wurde B. eiligst zu der Pat: zurück gerufen. Er fand sie in
einem qualyollen Zustande, Gleich einer Rasenden, Betten und
Kleider von sich werfend, weder auf tröstlichen Zuspruch noch
auf Drohungen hörend , wälzte sie sich entblösst im Bette her-
um, und wollte aus diesem springen, was nur durch mehrere
starke Männer verhindert werden konnte. Mit diesem Toben
wechselte fürchterliches Zähneknirschen und momentaner Tris-
mus, mit grässlichen Zuckungen der Gesichtsmuskeln, und hef-
tig erschütternde Stösse der obern und untern Extremitäten ;
endlich schien eine tiele Ohnmacht diesen Auftritt zu beschlies-
sen, aber nur, um von Neuem und noch hefugeren Schmerzen
unterbrochen zu werden, Der Unterleib war sehr hart, zusam-