I. Pathologie, Therapie und medicinische Klinik. 87
der Urinverhaltung, dass Pat. gar keinen lasse, nachdem er ver-
ordnet, ihm, während er zu Stuhle ging, ein Uringlas vorzu-
halten. Auch entleerte er dabei unter massigem Drängen zum
Urinlassen nur wenige Tropfen einer dicken, schleimigen Flüs
sigkeit, was er früher immer für vollkommenes Urinlassen ge
halten. Kurz, Niemand hatte eine Ahnung von dem Uebel.
Pat. hatte auch nicht ein Mal Drängen zum Harnlassen, noch
Schmerz empfunden, auch kein Fieber gehabt, nur war er im
mer schwächer geworden und hatte desshalb im Bette bleibeu
müssen. So lebte er noch 5 Tage, dann wurde er eines Abends
sehr ängstlich und klagte über Brustbeklemmung, wesslialb
man mit grosser Erleichterung eine Ader öffnete. Am nächsten
Tage starb er, nachdem er sehr unruhig und ängstlich gewesen,
ohne dass andere Symptome zum Vorschein gekommen. Auch
hier roch keine andere Absonderung urinös. Die Section
wurde nicht erlaubt. Die Behandlung bestand in urintreiben
den Mitteln, warmen Bädern, einem grossen Vesicator in der
Nierengegend und Application einer galvanischen Säule, von
der der eine Pol in dem Nacken, der anders in der Nierenge
gend angebracht wurde. Letzteres Verfahren hatte B. verord
net, weil er Lähmung der Nieren vor sich zu haben glaubte
und er kein wirksameres Mittel zur Wiederherstellung völlig
aufgehobener Nervenkraft kennt, als dieses. Die einzelnen
Mittel führt der Verf. speciell deshalb nicht an, weil sie auch
nicht den geringsten Erfolg hatten. — Sind auch die mitge-
theilten Krankengeschichten sehr unvollkommen, indem ihnen
der Sectionsbefund fehlt, so sind sie doch wohl der Mittheilung
wertli, da sie eiu seltenes Uebel betreffen und ähnliche Fälle
bisher noch nicht aufgezeichnet sind. Denn in der Mehrzahl
der etwa aufgezeichneten ähnlichen Fälle war wenigstens Schmerz
in der Nierengegend und fruchtloser Harnzwang zugegen ge
wesen, wovon man hier auch nicht das Geringste bemerkt hatte.
Wahrscheinlich würde auch die Section kein besonderes Licht
über das Uebel verbreitet haben, da kein auf Leiden der Nie
ren oder der umgebenden Theile deutendes Zeichen voraus
ging. B. glaubt daher, dass es ein rein dynamisches Uebel,
Lähmung der Nieren durch gehemmten Nerveneinfluss, war.
Hervorzuheben ist noch die Geringfügigkeit der Zufälle bei
einem so tödtlichen Uebel, die in den beiden ersten Fällen
kaum bemerkbar waren, nur in Mattigkeit, Schwäche nnd
blassem Aussehen bestanden und bei denen man erst nach 8- und
lOtägiger Dauer der völlig fehlenden Urinabsonderung vom Da
sein derselben unterrichtet wurde. Deivzweite Kranke wurde
vor dein Tode wirklich comatös, der dritte nicht, während in
allen Fällen, wo die Urinausleerungen durch ein Hinderniss
m den Urin wegen bedingt wird, diess der Fall ist. Diese
scheinbare Unbedeutenheit der Symptome mag Ursache syen,
dass ein solches Uebel vielfältig vorgekommen seyn mag, ohne