Full text: (Neueste Folge, Band 4 = 1837, No 1-No 8)

VI. Staatsarzneikunde. 
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stellte, erhielt er nährende Bäder und Rlystiere. War es der 
hartnäckigste Trotz? war es Lebensüberdruss oder freiwillig 
aufgelegte Busse zur Sühnung der Schuld? — In den letzten 
Ta gen der dritten Woche wurde Inquisit zuweilen von den 
heftigsten Krämpfen in den verschiedensten Formen befallen. 
L'm die Natur derselben nuszumitteln, wurde er noch genauer 
beobachtet und belauscht und siehe da, als er eben während 
der Visite in dem furchtbarsten Krampfanfalle verlassen wor 
den war und nun nach kurzer Zeit die Aerzte, die er schon 
fern wähnte, auf den Zellen herbeischlichen, fanden sie ihn 
ganz ruhig und wohlgemuth auf dem Lager aufgerichtet sitzen, 
den Mund wie zum Pfeifen gebildet und das Gesicht zum 
schadenfrohen satanischen Lächeln verzogen. Nun war des 
Spieles ein Ende, auch gelangten bald die Criminalärzte zur 
Ueberzeugung, dass die Tobsucht des Inquisiten reine Verstel 
lung sei. Elle derselbe noch abgefiilirt wurde, trat der Verf. 
die Leitung der Irrenanstalt an Dr. Rilke ab. Als er ein 
Jahr später die Irrenanstalt besuchte und sich nach dem fernem 
Schicksal des Inquisiten erkundigte, horte er Folgendes: Inqui 
sit sei zu lebenslänglicher Verwahrung auf dem Spielberge 
verurtheilt worden lind auf dem Wege dahin habe er, unter 
Fluchen und Schelten, als er die Festung gesehen, mehrmals 
sich geäussert, dass er so lange in der Rolle des Wahnsinni 
gen sich Gewalt angetlian und so viele Leiden und Entbehrun 
gen ertragen habe, um nur dem verw ünschten Spielberge zu 
entgehen und dass doch noch seine Absicht vereitelt worden 
sei. Näcli der ersten Nacht, die er dort zugebracht, habe man 
ihn übrigens des Morgens erhängt gefunden. — Wirft man 
auch nur einen flüchtigen Blick auf die Geschichte dieses Mei 
sters in der Versleliungskunst, so drängt sich die Bemerkung 
auf, wie planmässig derselbe seine Absicht durchführte; zuerst 
genügte es, Richter und Aerzte durch tolles Geschwätz und 
Handeln irre zu führen; als dies erreicht schien, kam der Ab- 
scess unter der Achsel ganz erwünscht; durch fortwährend un 
terhaltene Reizung glaubte er den Aufenthalt in der Anstalt 
zu sichern, ohne nolliig zu haben, die mit mehr körperlicher 
und geistiger Anstrengung und grossem Entbehrungen verknüpfte 
Rolle des Wahnsinnigen zu spielen. Im Betrüge entlarvt setzte 
er nun den Hebel der Furcht durch Entwickelung riesenhafter 
Kräfte in Bewegung, um ruhige schonende Duldung in der 
Anstalt und gute Verpflegung zu erhalten. Nach Entreissung 
dieses Talismans musste zum Aeussersten gegriffen werden, 
■Wenn es auch noch so grosse Anstrengungen und Opfer kostete, 
fm die Meinung geltend zu machen, dass ihn ein fixer Wahn 
beherrsche, galt es etwas Ungewöhnliches, der gesunden mensch 
lichen Natur Widerstrebendes in die Erscheinung zu bringen: 
es musste der natürliche Trieb nach Speise bekämpft werden.
	        
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