198 I. Pathologie, Therapie und medicinische Klinik.
81. Tonische Krämpfe bei sich ausbildendem
Weichselzopfe; (a. d. Beiträgen zum Sanitäts-Berichted.
Posener Regier.-Bezirks) von Dr. Koelle. I. Pli ca mit
Starrkrampf. Ein 12jähriges Mädchen, früher immer ganz
gesund, bekam am 29. Aug., als sie auf ein Bett rücklings ge-
stossen worden war, Ziehen und Steifigkeit in den Armen und
Beinen, die nach und nach unbeweglich wurden. Am 2. Sept.
als Pat. in die Anstalt der grauen Schwestern aufgenommen
wurde, land man den Körper krampfhaft ausgestreckt, die Na*
cken- und Rücken-, so wie die Streckmuskeln der untern Ex
tremitäten ganz steif und die Zehen gerade gezogen. Dasselbe
war auch, nur etwas weniger, bei den obern Extremitäten der
Fall. Dabei fanden sich, besonders anfangs sehr häufig, Tris
mus, tetanische Krämpfe der Brustmuskeln und völlige Bewe
gungslosigkeit der Oberextremitäten, welche Anfälle ungefähr
5—10 Minuten anhielten und dann allmählig, bis auf den Starr
krampf, nachliessen. Der Puls war klein, krampfhaft, be
schleunigt, die Miene ängstlich und zuweilen stellte sich trock-
ner Husten ein. Appetit und Durst waren massig vorhanden»
der Stuhlgang war träge und profuse Schweisse bedeckten den
Körper. Die Hypochondrien waren beim Befühlen schmerzhaft
und eine Stelle auf dem 4. Rückenwirbel beim starken Befüh
len sogar sehr empfindlich, obgleich äusserlich daselbst nichts
Krankhaftes zu sehen war. Gleichzeitig hiermit bildete sich
eine Plica aus, von der man einige kleine Zöpfe am Hinter
haupte sah. Man setzte 24 Blutegel längs dem Rücken an,
rieb die graue Quecksilbersalbe in Arme, Beine und Rücken
ein und gab grosse Gaben Calomel innerlich. Später wieder
holte man die örtlichen .Blutentziehungen einige Male, legte ein
Vesicator in den Nacken, verband das Calomel mit Belladonna,
wendete Klystiere mit Inf. Beilad. an, liess Kalibäder neh
men und mit den Einreibungen der grauen Salbe fortfahren.
Diese Behandlung setzte man 7 Tage fort: dann erst zeigte
sich geringe Biegsamkeit in den Knieen, während die übrigen
Symptome dieselben blieben. Da sich der Weichselzopf deut
lich fortbildete und Pat. dringend bat, sie mit Mitteln und be
sonders mit Bädern zu verschonen , so setzte man nur noch die
Quecksilbereinreibungen fort, liess den Kopf mit Abkochungen
von 11b. Vinc. pervinc. mit Wein oft am Tage warm bähen
und 4—5 Mal täglich etwas Branntwein geben, weil das Mäd
chen, w ie dies bei Ausbildung der Plica sehr häufig der Fall
ist, last unwiderstehliche Begierde danach spürte. Die Besse
rung schritt nun täglich vor, die krampfhaften Anfälle erschie
nen seltener und blieben bald ganz aus, der Körper wurde
nach und nach beweglicher, der starke Schweiss verlor sich
uud alle Functionen regelten sich wieder. Später bekam Pat.
nach Dampfbädern die frühere Beweglichkeit und Gesundheit
ganz wieder, uachdein sie sich 4 Wochen in der Anstalt auf*