10 I. Pathologie, Therapie und inedicinische Klinik.
fahrens erinnert hätte. Die robuste Kranke war noch nicht ver
loren, doch die Kunst ruhte nicht. Da sielt das Uebel auf
gleicher Stufe erhielt, die Entzündung also noch eben so be
stand, wie vor dein ersten Aderlässe, die vermeintliche Gefahr
daher um nichts vermindert war, wurde ein zweiter Aderlass
von 14 Unzen gemacht. Dieser nun drang bis zuin Quell der
Lebensbewegungen. Die Erscheinungen veränderten sich. Die
Schnelligkeit des Pulses nahin ab, das Erysipel verlor seine
Anschwellung und seitlich blasser werdend nach hinten. Es ent
standen Abscesse und häutiges schleimigtes Abweiciten, das man
durch Opium stillte und da sich darauf Neigung zum Erbrechen
einstellte, durch Abführmittel wieder hervorrief. Nun ruheten
für einen Tag die Symptome, dann aber brach der Sturm los.
Hippocratische Brustzufälle verkündeten den Tod. Da suchte
man die Gefahr durch neue Blutenziehung von 15 Unzen zu
beschwören und wendete'noch Alles an, >vas man unter ähn
lichen Erscheinungen thut, doch Pat. starb, zum Theil an Pe-
ricarditis, von der sich im Leben auch nicht ein Symptom zeigte.
ZM'eifelsohne rief die zweite Venäsection den Tod herbei. Von
da verlief das Erysipel regelwidrig und nöthigte zu grober Em
pirie. Die Erfahrung der ältern Aerzte hätte liier einen belter-
zigenswertlicn Wink geben können, indem sie zum wenigsten
grossen Rückhalt in Anwendung der ßlutentziehungen beim
Erysipel empfiehlt. Doch die durch das anatomische Messer
festgestellte Idee der Entzündung verschmäht die Erfahrung! —
Was soll man aber in dieser Mittlieilung m^lir anstaunen : die
Grundsätze der Behandlung, oder die Beurtheilung des ganzen
Vorgangs? Im Verlaufe der Krankheit sieht der Arzt 2 Dia-
lltesen, eine inflammatorische und eine purulente; die Haupt
symptome gelten als Anstrengungen der Heilkraft der Natur und
den Tod legt man einer Verirrung dieser Heilkraft zur Last!
Ko vermag die einzige Berücksichtigung der Materie die Unbe
fangenheit der Ansicht zu trüben. Man sollte glauben, die
Kunst Märe liier gar nicht thätig gewesen und doch Mar sie
es gerade, die die Erscheinungen einer Diailtese und jene fiir
critisch ausgegebenen Zerstörungen hervorrief. Ohne die Ener
gie der Kunst M'ürde in diesem gesunden Körper die I'ebris
eri/sipehttosa geM’iss eben so gefahrlos vorübergegangen seyn,
als in den oben erzählten gewiss mit bedeutenden Symptomen
verbundenen Fällen. — Wäre man übrigens auch davon völ
lig überzeugt, dass dem Erysipel Entzündung zu Grunde läge,
so hätte man doch daraus für die Behandlung gar nichts ge
wonnen. Nur der Verlauf dieser Krankheit giebt Aufschluss
über die Natur derselben. Die Natur eines Vorgangs in der
Wirklichkeit bestellt aber nur in Auffassung der Ordnung, des
Zusammenhangs bestimmter Erscheinungen von ihren veranlas
senden Ursachen an bis zu ihrer Vollendung. So stellt sich die
Febris erijsipclatosa, ihrer bedenklichen Zufälle ungeachtet, so