II. Materia medica und Toxikologie.
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Reiz zum Jucken wird bemerkt; zuweilen stellen sieb Conge-
stionen nach Kopf und Brust ein, der Puls ist gross, voll, meist
etwas beschleunigt, ja es kommt wohl zu vollständigen Fieber
bewegungen mit vorausgehendem Frösteln. Im Bett nimmt die
Wärme und das Jucken auf der Haut noch mehr zu, der Schlaf
ist tief, doch nicht ohne Träume. Immer bricht ein mehr oder
weniger starker Schweiss aus, und am Morgen pflegt der Urin
reichlich gelassen ztt werden. Derselbe ist trübe und bekommt ei
nen Bodensatz. Zuweilen erscheint dieser Bodensatz erst nach
dem Gebrauche mehrerer Bäder. Diese Erstwirkungen werden
nach dein Fortgebrauch der Bäder minder aulfallend und ma
chen dagegen anderen Erscheinungen, die von einer tiefem Einwir
kung auf den Körper zeugen, Platz. Nach mehrtägigem Ausse
tzen des Seebades stellen sie sich aber sogleich wieder ein.
Personen, bei denen durch habitus apopleclicus, durch plethora
abdominalis, durch gastrische Unreinigkeiten das Seebad con-
traindicirt ist, oder die eine bestimmte Idiosynkrasie gegen das
selbe haben, kehren die Erstwirkungen immer wieder, ja ein
zelne derselben steigern sich wohl bis zur wirklichen Krank
heit. So hatte ich einen jungen Mann von stark nervösem Ha
bitus zu beobachten, der an habituellem Kopfschmerz von Ue-
berfüllung des Pfortadersystems litt, bei welchem diese Erstwir
kungen im höchsten Grade aufgetreten waren. In Folge fortge
setzten Bades verfiel er in ein heftiges Congestionsfieber und seine
Kopfschmerzen vermehrte sich dermaasen, dass Apoplexie zu .
fürchten w ar. — Sehr häufig entstehen schon nach den ersten 10 Ta
gen Hautautschläge, so sah ich bei einem Hypochondriacus Lichen
an verschiedenen Stellen der Extremitäten , bei einem Hämor-
rhoidarius einen herpetischen Ausschlag in der Nähe des Afters
entstehen. Beides, wie sich in der Folge erwies, als günstige
Zeichen. Bei mehreren Personen, die an torpiden Scropheln
litten, bildeten sich hie und da viele kleine Furunkeln aus;
bei Andern erschienen zu unbestimmten Zeiten, meist des Abends
über den ganzen Rücken eine Menge kleiner, juckender Knöt
chen. — Als Symptom des lebhafteren Blutumlaufes und der
erhöhten Thätigkeit aller Organe erwähne ich, dass ein 66jäh-
riger Mann nach 5maligem Baden öfter Pollutionen in der Nacht
bekam , was ihm seit vielen Jahren nicht begegnet war. Ue-
berhaupt hat man beobachtet, dass durch das Seebad die Ge-
schlechtsthätigkeit erhöht wird. — Auf die Digestionsorgane
uimmt man einen lebhaften Einfluss wahr: der Appetit wird
fast immer gesteigert und die grössere Quantität genommener Nah-
rung doch ohne Beschwerde verdaut. Der Stuhlgang wird nicht
auffallend vermehrt; es treten wohl zuweilen Koliken, Durch-
lalle ein, doch muss man sie Erkältungen zuschreiben. — Die
|irkung der Seebäder auf Drüsengeschwülste ist langsamer,
?, 8 die auf Stockungen im Pfortadersysteme; ich habe sie bei
Erwachsenen erst nach 20 und mehr Bädern erfolgen sehen.