Full text: (11. Band = 1835, No. 9-No. 16)

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VI. Psychiatrie. 
gern in ihr. So zeigt der Verpflegte weder in Worten, noch in 
Handlungen etwas von Seelenstörung mehr, sondern freudiges 
Vertrauen auf Gott, die Menschen und sich selbst, und neben 
Ruhe und innerm Frieden nur Weichheit des Gemiiths und grosse 
Empfänglichkeit für psychische Eindrücke, die Nachhall seiner 
Krankheit, aber auch Wirkung seines unglücklichen Lebens ist. 
— Die Diagnose des erzählten Falles ist leicht: die Symptome 
der Krankheit, so wie Verlauf und Ursachen charakterisiren sie 
deutlich als Melancholie. Ursachen findet man theils somati 
sche, theils psychische. Zu ersteren gehören die vom Vater 
ererbte Disposition zu Unterleibs- und Nervenübeln und conse- 
cutiv zur Melancholie, die zur Entwickelung derselben günstigen 
äusseren Schädlichkeiten, der Mangel am Nothwendigsten, die 
übermässigen Anstrengungen bei mechanischen Arbeiten, die bei 
den Brüche, welche Unterleibsstockungen und Schmerzen ver 
mehrten , die Desorganisation der Nebenhoden, die heftigen 
Schmerzen und völliger Mangel an ärztlicher Hülfe, zu letztem: 
mannichfaltige Gemüthsbewegungen, denen Pat. ausgesetzt war, 
Furcht, Angst und Schreck in den Kriegsjahren, Kummer über 
die Krankheiten des Vaters und der Frau, Nahrungssorgeu, trübe 
Aussicht in die Zukunft durch Abnahme der Kräfte und, als fort 
dauernde Ursache, Scham und Reue über seine Selbstverstüm 
melung. Schon früh war, wie erwähnt, Pat. schwächlich und mit 
heftiger Kolik behaftet, die sein mühevoller Beruf unterhielt; 
schon damals zog er sich aus frohen Kreisen zurück. Die viel 
fachen Gemüthsbewegungen bestürmten seine Seele und unter 
gruben immer mehr seinen Lebensmuth. Das tiefe Leiden der 
Venen des Unterleibs theilte sich denen der Brust mit und 
brachte mit den mechanischen Hindernissen der tiefen Inspira 
tion, wegen Anschoppungen der Abdominalorgane, das Gefühl 
von Angst und Beklemmung hervor. Der Druck des unpassen 
den Bruchbandes bewirkte Verhärtung des Cremasters, wirkte 
sehr nachtheilig auf Venen und Nieren des Samenstranges und 
verursachte wohl die krebshafte Desorganisation desselben und 
der Nebenhoden. Die heftigen Schmerzen in denselben, die bis 
in den Unterleib gingen, raubten dem Kranken den Schlaf, schwäch 
ten sein Nervensystem immer mehr und liessen ihn seinen Kum 
mer auch Nachts nicht vergessen. Die Reizbarkeit der Seele 
und des Nervensystems steigerte sich, während die Energie bei 
der immer mehr sank. Die Religion konnte ihn unter solchen 
Leiden nicht mehr aufrichten und die Herrschaft der Vernunft 
über Gedanken, Gefühle und Willen ging ihm unter. Der Kranke 
suchte, um nicht. Hand an sich zu legen, sich zu ertränken. 
Seine Rettung hielt ihn bei seinem frommen Sinne fast ein Jahr 
von weitern Versuchen zum Selbstmorde ab, bis ihn Seelenstö 
rung und Schmerzen wieder zur Selbstvernichtung trieben. Nicht 
die Sünde war die Ursache in diesem Falle. — Die sich darbie 
tenden ludicationen waren Entfernung aus seinen häuslichen und
	        
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