Full text: (10. Band = 1835, No. 1-No. 8)

200 NM. Pathologie, Therapie und medieinische Klinik. 
sen Hang zum anhaltenden Nachdenken über abstracte Gegen- 
stände verrathen und war durch die Entwickelung ihrer glückli- 
chen Geistesanlagen schwachnervig und sensibel geworden, Währ- 
rend einer sich durch Erkältung beim ersten Ausgange nach 
jenem ‚Wochenbette zugezogenen Krankheit las sie oft in der 
Bibel und in geistlichen. Schriften, wobei sich die Idee entspann, 
sie sey von Gott verdammt und ewig verloren (Mania religiosa, 
Desperatio propriae salutis), Sie vernachlässigte ihr Hauswesen, 
verlor alle Zuneigung zu Mann und Kindern, war stets sehr auf- 
geregt, vernachlässigte ihren Körper, schlief unruhig und ten- 
dirte Selbstmord. Durch die weite Reise nach Berlin war sie 
körperlich angegriffen, aber ohne Befremden über die Trennung 
von den Ihrigen. Sie zeigte weder Verlangen nach ihrem Manne 
und ihren Kindern, noch ein Streben nach persönlicher Freiheit. 
In einer und gerselben Stellung mit gesenktem, starrem Blicke 
verweilte %je stundenlang, sprang dann wohl plötzlich auf, ohne 
zu Wissen warum und wohin, und setzte sich wieder, um in die- 
seihe Trägheit und Theilnahmlosigkeit zu versinken. Sie hielt 
sich sclbst für seelenkrank, ohne darüber betroffen zu seyn, und 
hielt sich für verloren. Ihr körperliches Befinden liess auf an- 
gegriffene Lungen schliessen. Man glaubte demnach, sich jedes 
stark eingreifenden Verfahrens enthalten zu müssen, und suchte 
durch einen direct psychischen Curversuch ihr Gemüth und ihre 
krankhaften Ideen umzustimmen. In letztern war, ihrer Ver- 
kehrtheit ungeachtet, ein System. Der liebe Gott, sagte sie, habe 
die Glücklichen geschaffen; ein zweites Wesen aber die Unglück- 
lichen. Zu letztern gehöre sie, und sie sey in eben dem Maasse 
unglücklich, als Glücksstoff dazu gehöre, einen andern Menschen 
glücklich zu machen, u. s. w. Blande, nahrhafte Diät, Sorge 
für tägliche Leibesöffnung, hinreichende, nicht anstrengende Be- 
schäftizungen u, s. w. hatten den guten Einfluss, dass sich Pat. 
in einigen Wochen erholte und in ihren Ideen etwas klarer "ward, 
In der Voraussetzung, dass die unrichtige Auslegung einiger bi- 
blischer Stellen den Hauptgrund ihrer krankhaften Vorstellungen 
bildete, ward die Kranke mit einem erfahrnen und verständigen 
Geistlichen zusammen gebracht, welcher auf ihr Gemüth so glück- 
lich einwirkte, dass sie sich mit Gott und der Aussenwelt wie- 
der ausgesöhnt und für heilbar hielt. Sie ward anch später als 
geistesgesund entlassen, nachdem auch ihr körperliches Befinden 
sich merklich gehessert hatte. — Eine wahre Leidensgeschichte 
bietet folgender Kranke dar, In seiner ersten Jugend litt er an 
Rhachitis und Krämpfen. Im 10. oder 12. Jahre bekam er ei- 
nen rechten Leistenbruch, der durch das Tragen eines Bruch- 
handes bis in sein 18. Jahr geheilt wurde. Starke und heftige 
Bewegungen machten ihm starkes Herzpochen, und überdies trüb- 
ten blinde Hämorrhoiden, hartnäckige Hartleibigkeit und Gelenk- 
schmerzen den Horizont seines Lebens, Zu verschiednen Malen 
zingen grosse Spulwürmer von ihm ab, und einige Male ward er
	        
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