Full text: (10. Band = 1835, No. 1-No. 8)

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VI.‘ Staatsarzneikunde. 
schwachem Barte an Kinn und Wangen, Schon die Angabe der 
Mutter, so wie Ansehen und Stimme, welche der eines 15 bis 
16jährigen jungen Menschen glich und das dieser Zeit eigene 
Deberspringen aus der Tiefe in die Höhe zeigte, liessen den Vf. 
vermutheu, dass er es wohl nicht mit einem Mädchen zu thum 
habe, noch mehr aber sprach für diese Ansicht der Mangel al- 
les weiblichen Schaamgefühls, als L. die Untersuchung der Brust 
und der Genitalien verlangte. Die Arme hatten ganz die Ge- 
stalt der männlichen und zeigten kräftig hervortretende Muskeln, 
Von Brustdrüsen war nichts zu sehen, auch war der Bau des 
Thorax ganz männlich. An den stark behaarten Geschlechtsthei- 
len, denen der stark mit Fett gepolsterte Mons Veneris fehlte, 
aah man einen ungefähr 1 bis 11” langen, undurchbohrten Penis, 
der an der untern Fläche die bei Hypospadiäen gewöhnliche 
Rinne hatte, mit von Vorhaut entblösster Eichel. Unter dersel- 
ben öffnete sich, zwischen dem gespaltenen Scrotum, in dem man 
auf jeder Seite einen ausgebildeten Hoden fühlte, die Harnröhre, 
doch nicht in einer der Scheide ähnlichen Vertiefung, sondern 
gleich hoch mit den übrigen Theilen, nur war im Anfange dersel- 
ben eine ungefähr zweigroschenstückgrosse Stelle mit rother 
Schleimhaut bedeckt. Eine Excoriation von dem nicht tropfen- 
weis unfreiwillig ausfliessenden Urin war dies nicht. Pollutionen 
sollten nie zugegen gewesen seyn. Hüften und Schenkeln fehlte 
die weibliche Bildung ganz. Als L. den jungen Mann für das, was 
er war, erklärte, war er nicht wenig bestürzt. Sein höchst stör- 
rischer Charakter, seine Unzufriedenheit, worüber die Stiefmut- 
ter sehr klagte, Jassen sich vielleicht dadurch erklären, dass Er- 
ziehung und Natur hier immer im Streite gelegen hatten. Bemer- 
kenswerth aber ist, dass trotz der vollkommen männlichen Bildung 
and bei, wenn auch verkümmerten und verstümmelten männlichen, 
nur entfernte Annäherung zu den weiblichen zeigenden Ge- 
schlechtstheilen, doch weiblicher Haarwuchs und nicht ganz männ- 
liche Stimme sich vorfanden, so wie, dass man, obgleich der junge 
Mann von Jugend anf als Frauenzimmer gehalten worden war, 
doch nichts von weiblichem Schamgefühl bemerkte. Die Eltern 
waren durch die Hebamme, die nicht nur, als das Kind geboren 
wurde, sondern auch später, als die Geschlechtstheile sich mehr 
entwickelt hatten, das Kind für ein Mädchen erklärte, bestimmt 
worden, es als solches zu erziehen. Vorliegenden Fall hat der 
Vf. hauptsächlich wegen einiger gerichtlich - medicinischer Fra- 
gen, die sich ihm dabei aufdrängten, mitgetheilt. Diese Fragen 
nun sind nachstehende: Das k. p. A. L. R. bestimmt (I, 1. $. 
19— 23) in Bezug auf Zwitter Folgendes: „Wenn Zwitter ge- 
boren werden, so bestimmen die Eltern, zn welchem Geschlechte 
sie erzogen werden sollen. Jedoch steht einem solchen Men- 
schen nach zurückgelegtem 18. Jahre die Wahl frei, zu welchem 
Geschlechte er sich halten wolle. Nach dieser Wahl werden 
seine Rechte künftig beurtheilt. Sind aber Rechte eines Dritten
	        
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