Rechtsgrundsätzen, welche gar nicht zu dem Zwecke jahrtausendlanger
Geltung aufgestellt waren, ja zum großen Teil überhaupt nur die
Entscheidung einzelner, ganz konkreter, eigenartiger Tatbestände sein
Wollten.
Justinian hat diesen Erstarrungs- und Entstellungsprozeß
Gngeleitet, indem er die römische Rechtsliteratur in den Rahmen
eines Gesetzbuches spannte, die Fiktion aufstellte, das alles sei
aus einem Gusse und daß er mit suggestiver Täuschung den jahr-
hundertlebigen Glauben erzwang, es habe damit seine Richtigkeit.
Erst die allerjüngste romanistische Wissenschaft; erst die Wissen
schaftsbewegung der letzten 40 Jahre hat diesen Glauben ab
geschüttelt, das Gesetzbuch Justinians historisch aufgelöst und
seinem Inhalte mit der historischen Wahrheit auch das innere Leben
und die volle Bildungskraft zurückgegeben.
In der Zwischenzeit, das heißt in den Jahrhunderten von
Justinian bis auf die neueste Phase unserer Wissenschaft, hat
allerdings die juristische Praxis nie ganz aufgehört, Belebungs
versuche an jener erstarrten Materie vorzunehmen, und nicht ohne
zeitweise Erfolge. Besonders waren es die italienischen Praktiker
des 13. und 14. Jahrhunderts, an der Spitze die berühmten Kon
siliatoren Bartolus und Baldus, und dann die deutschen Juristen
des 17. und 18. Jahrhunderts, namentlich die Pfleger des so
genannten usus modernus Pandectarum, welche dem überlieferten
römischen Recht neues Leben, moderne Fortbildung, Anpassung an
das Bedürfnis des Tages, also diejenigen Eigenschaften zurück
zugeben versuchten, welche sein eigentliches Wesen, seine Größe
ausmachten. Aber diese Versuche sind vergangen wie Wasser-
Wellen, die durch die Brandung zurückgeschlagen und verschlungen
werden.
Schloßmann hat mit kritischem Feinsinn den Erscheinungen
nachgespürt, welche im 18. und 19. Jahrhundert das Gegenteil von
derjenigen Entwickelung bewirkte, welche nach seiner Grund
auffassung dem „wirklichen Recht“ entsprochen hätte.
Notgetan hätte nach Schloßmanns Auffassung eine Wieder
erweckung der römischen Beweglichkeit und Freiheit. Anstatt
dessen haben die zweite Hälfte des 18. und die ersten zwei Drittel
des 19. Jahrhunderts uns eine Entwickelung gebracht, welche
als Systematisierung und Dogmatisierung des Zivilrechts den
ganzen Haß Schloßmanns gegen sich hatte und deren, man kann
sagen, erbitterte Bekämpfung er als seine Lebensaufgabe betrachtete.