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in Prag. Er wurde neben Toi dt auch zum Nachfolger Henke s
vorgeschlagen.
So hatte Flemmings Leben in Prag viele Lichtseiten;
aber auch Schattenseiten fehlten nicht, die ihm den Aufenthalt
verleideten. Die Mehrzahl der Studenten Prags waren fanatisch
Czechen, die zwar keineswegs offen agressiv speziell gegen ihre
deutschen Lehrer auftraten, aber doch gegen alles deutsche die
Faust in der Tasche ballten. Dies Bewußtsein politischer Spannung
störte die Unbefangenheit des Verkehrs überall, stellte starke An
sprüche an Pachydermie, denen der feinfühlige Flemming nicht
gewachsen war, und verstimmt ihn so sehr, daß er seine akademische
Laufbahn ganz aufzugeben entschlossen war. Daher erschien es
ihm wie eine Erlösung, als sich für ihn Aussichten eröffneten, nach
Königsberg berufen zu werden. Aber noch ehe diese sich verwirk
lichten erfolgte 1876 im Januar seine Berufung nach Kiel, als
ordentlicher Professor der Anatomie an Stelle des nach München
gehenden Prof. v. Kupffer, eine Berufung, die Flemming um
so lieber annahm, weil er dadurch in die Nähe seiner Heimat und
Geschwister zurückkehren konnte.
In Briefen an seinen Freund Gustav Schwalbe, den Anatomen
in Straßburg, berichtet er mit Freuden von seiner freundlichen Auf
nahme in der Fakultät und der Geselligkeit Kiels und der Schönheit
des Meeres, die er von seiner ersten Junggesellenwohnung in Klein
Elmeloo, bei der in Universitätskreisen wohlbekannten Fräulein
Hege wisch täglich vor Augen hatte. Später sind auf Flemmings
dringenden Wunsch seine 2 Schwestern nach Kiel übersiedelt; er
bezog dann eine gemeinsame Wohnung mit diesen und später mit
der überlebenden Schwester gemeinsam die eigne Villa in Düstern
brook, in der beide während vieler in geschwisterlicher Eintracht
und Treue verlebter Jahre ihren Befreundeten und Bekannten frohe
Geselligkeit und Gastfreundschaft geboten haben.
Während dieser glücklichen Zeit entfaltete Flemming seine
glänzendste Tätigkeit als Gelehrter, als Lehrer, als Forscher, und
erstieg den Gipfel seines wissenschaftlichen Ruhmes.
Die Kieler Universität, damals die kleinste Deutschlands, hatte
zwar durch eine Reihe namhafter Vertreter medizinischer Wissenschaft,
die, wie Cohnheim, Bartels, Litzmann, Kupffer, Frerichs,
nicht mehr zu den Lebenden zählen oder teilweise jetzt noch Senioren
der Fakultät sind, sich einen sehr geachteten Namen erworben;
stand aber doch erst in den ersten Anfängen ihrer Entwickelung.