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orientiert, vertrat er seine Meinung maßvoll, aber entschieden, und
fast immer traf er das richtige. Seine Darstellung war nicht nur
klar, sondern auch frisch und fesselnd, da er den Gegenstand
nicht einfach referierte, sondern innerlich verarbeitete und Freude
an Darstellung und Lehren hatte.
Der Staat hat in erster Linie praktische Zwecke, auch bei der
Einrichtung der Universitäten; wenn die Lehrer zur Vertiefung, zur
Theorie, zum Studium geführt werden, so erkennt gerade in
Deutschland der Staat die Bedeutung auch dieser Richtung für
seine eigenen Zwecke, er würdigt die gegenseitige Befruchtung von
Theorie und Praxis und läßt den Universitätslehrer beide Richtungen
vertreten; bei dem einzelnen tritt nach Fach, nach Umständen, nach
Persönlichkeit bald die eine bald die andere Seite mehr in den
Vordergrund. Leitet nun die Medizin überhaupt schon mehr zur
Praxis hinüber, so waren für Bockendahl solche Beziehungen durch
die Umstände in besonderem Maße gegeben. Hätte er sich als
junger Arzt von vornherein dauernd der Universität angeschlossen,
so würde er sich wahrscheinlich vorwiegend als Lehrer und Forscher
entwickelt haben. Aber die politischen Verhältnisse der Heimat in
seinen Studienjahren lenkten Kräfte und Sinn auf das Gemeinwohl,
und die Bedürfnisse des eigenen Herdes verwiesen ihn auf ärztliche
Praxis. Diese Umstände entwickelten seine Persönlichkeit und
bestimmten seine Richtung.
Durch Kenntnisse, Liebenswürdigkeit und Geradheit in der
Praxis erfolgreich, fand er in ihr den Sporn zur eigenen Fortbildung
ünd den Antrieb zur Überlegung, wo die staatliche Fürsorge für
Gesundheitsverhältnisse einzugreifen habe. Das führte ihn zur
Staatsmedizin, die er als Lehrer wie als Beamter vertrat. So
wirkte er in dreifacher Weise, die eine Seite seiner Tätigkeit durch
die andere stützend und ergänzend. Die Lehrtätigkeit und der
Persönliche Verkehr mit der Universität hielten ihn in Verbindung
mit den Fortschritten der wissenschaftlichen Medizin; das Amt
gab ihm Gelegenheit, diese sowie die Erfahrungen der ärztlichen
Praxis in der Staatsverwaltung zu verwerten; niemals hätte er
Beamter nur am grünen Tisch sein können.
Bedarf der Lehrer der Staatsmedizin besonders umfassender
Kenntnisse in allen Gebieten der Medizin, so bedarf der Medizinal
beamte dazu noch des richtigen Urteils, der Kenntnis der Menschen
und der Verhältnisse; beides stand Bockendahl zu Gebote. Diese
Vereinigung von Fähigkeiten ermöglichte es, daß er so mannigfach