Full text: (1898/99)

Menschheit als des Weiblichen umfassender Zweck. Ob Nitzsch hiermit 
Anklang gefunden hat, ist mir nicht bekannt 
Wie sehr er an dem Aufschwung der idealen Lebensherrlichkeit 
unseres Volkes in dieser reich gesegneten Zeit nach der Erfüllung der 
nationalen Hoffnungen beteiligt war, ein treuer, ebenso nationaler als 
liberaler Anhänger der national-liberalen Bürgerpartei, das zeigt ein 
schwungvoller Aufsatz in „Nord und Süd“ von 1893: „Zur Geschichte 
der Entwickelung des deutschen Nationalbewusstseins, besonders im 
achtzehnten Jahrhundert.“ Indem er uns Klopstocks, Herders, Goethes, 
Schillers, Friedrich des Grossen Stellungnahme zur nationalen Idee vorüber 
führt, schliesst er mit einem aus Sybel und Treitschke geschöpften Hymnus 
auf die Begründung des Reichs, dessen Schluss für seine gesammte 
politische Auffassung bezeichnend ist: „Bismarck verbündete sich mit 
dem nationalen Liberalismus, erkannte den Hauptschaden im deutschen 
Dualismus und setzte an die Stelle des immer wieder auflebenden, form 
losen und halbromantischen Idealismus eine im eminenten Sinne praktische 
Politik.... Blut wurde ein guter Kitt und so stark auch die Reste des 
Partikularismus, des abstrakten Liberalismus und des ultramontanen 
Kosmopolitismus in unserem Vaterlande noch sein mögen, das deutsche 
Reich und das deutsche Kaisertum — sie werden sich mit Gottes Hülfe 
behaupten, sollte ihnen auch ein harter Verteidigungskampf bevorstehen.“ 
So trieb denn Nitzsch, lange Jahre als Vorsitzender des Kieler Zweig 
vereins, mit treuer Hingabe das Werk des Gustav Adolf-Vereins als 
ein ebensogut deutsches als protestantisches, versagte sich aber all’ den 
neueren christlich- und national-socialen Bestrebungen, vor deren mangel 
hafter technisch-ökonomischer Substruction er ein ebenso instinktives 
Grauen hatte, als ihm bangte vor der Verwirrung der christlich-sittlichen 
Ideale mit den materiellen, diesseitig-chiliastischen Zielen der Arbeiter 
bewegungen. 
Zeigt sich in allem Bisherigen ein acht deutscher, an unsern Klassikern 
- und nationalen Historikern genährter, den erst in cjer letzten Generation 
lebendig gewordenen Fragen des deutschen Lebens fremder, ethischer 
Idealismus, so vollendet sich dieser Eindruck in der runden Ablehnung, 
die er der „Weltanschauung Fr. Nietzsches“ zu Teil werden Hess. Es 
fehlt ihm für diesen „Anarchisten im Schlafrock und Pantoffeln“, für 
diesen „fanatischen Aristokraten“, für dies Pendant des christlichen 
Socialismus alle Sympathie, geschweige Congenialität. Dass er trotzdem 
an ihn herantritt, rechtfertigt er folgendermassen: „Jeder Vertreter der 
Wissenschaft, auch der Ethiker, fühlt sich verpflichtet, neuen literarischen 
Erscheinungen, die in sein Fach einschlagen und wissenschaftlich geartet 
sind, Beachtung zu schenken. Nun tritt aber jederzeit eine Anzahl von 
Schriften auf, die zwischen den eigentlich wissenschaftlichen und den
	        
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