8
b. Die Verleihung der Neuscbassischen Preise des Jahres 1897 98.
i. Die theologische Fakultät hatte folgende Aufgabe gestellt:
„Die zuletzt von Albrecht Ritschl vertretene These, dass der Vor
sehungsglaube mit zu den spezifischen Eigentümlichkeiten des
christlichen Glaubens gehöre, ist mit Berücksichtigung einerseits der
Schrift Seneca’s de providentia andererseits der reformatorischen
Lehre aufs Neue zu prüfen“.
Die drei eingegangenen Abhandlungen, welche dieses Thema
behandeln, verraten nun zwar alle einen gewissen Fleiss, ein gewisses
Verständniss des Problems und ein tiefergehendes Interesse für
dasselbe; jedoch eine befriedigende Lösung der Aufgabe bietet nur
die Arbeit mit dem dem Clemens Alexandrinus entlehnten Motto:
„\Enaidayooysi yccQ etc.“ Die beiden anderen, sowohl die mit dem
Wahlspruch: „Unser Glaube ist der Sieg etc.,“ als auch die mit der
Aufschrift: „Ilävxa vfjuv etc.“ lassen nicht nur jedes Eingehen auf
die übrigen antiken Vertreter des Vorsehungsglaubens, sondern auch
eine vollständige und korrekte Darstellung und Würdigung des In
haltes der genannten Schrift Senecas vermissen; der mit dem Motto:
„Unser Glaube“ etc. aufgetretene Bewerber verfügt ferner nicht
über eine hinlängliche Kenntniss der betreffenden Aussprüche Luthers
und bekundet zwar eine an sich achtungswerte geschlossene theo
logische Gesammtauffassung, bewegt sich jedoch teilweise mehr im
Tone eines Bekenntnisses oder Zeugnisses, als in einem wirklich
wissenschaftlichen. Der Autor mit dem Wahlspruch: „ndvxa
vfioov etc.“ hat zwar hinsichtlich des Studiums der Schriften Luthers
mehr geleistet als jener, leidet aber vielfach an einer gewissen Un
klarheit und zeigt auffallenden Mangel an historischer Unbefangen
heit, namentlich den ausserchristlichen Religionserscheinungen gegen
über.
Beiden ist der Verfasser mit dem Motto: „Encadaywysi yüq etc.“
entschieden überlegen. Dieser beherrscht das sehr umfassende
selbstständig gesammelte Material mit dialektischer Klarheit und
weiss die in Betracht kommenden antiken Philosophen, insbesondere
den Seneca, unparteiisch zu würdigen, hat aber auch die Ansicht
Luthers und die der übrigen Reformatoren sorgfältig ermittelt, end
lich die Ritschl’sche These mit grossem Scharfsinn kritisirt.
Die Fakultät erteilt daher trotz mancher störenden stilistischen
Unebenheiten und trotz gewisser unmotivirter über Gegner Ritschl’s
gefällter Urteile am Schluss derselben der Abhandlung mit dem
Motto: „Encudaywyst ydq etc.“, und zwar dieser allein, unbedenklich
den Preis.
Der Verfasser ist der cand. theol. Otto Scheel aus Tondern.