Full text: (1888/89)

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bei ihm nur beides so leicht zu trennen! Denn wie kann ich reden 
von seiner Theologie, ohne dass das ehrwürdige, friedensvolle Antlitz 
vor mir auftaucht, dessen ruhige Klarheit das Resultat der tief inner 
lich vollzogenen Geistesarbeit war. Wie kann ich von der Art 
reden, wie er den Gegenstand seiner Wissenschaft, das Christentum 
auffasste, ohne mich zugleich aller Züge seines christlichen Characters 
zu erinnern, der ebenso sehr der heiss errungene Preis seiner Ueber- 
zeugungskämpfe war, wie eine von vornherein edle Beanlagung seine 
theologische Stellungnahme bedingte. Seine Theologie war ihm das 
Herz seines Daseins. Nur zwei Gegenstände gab es überhaupt, die er 
mit seinen Söhnen ernsthaft verhandelte. Der Geist der Antike, ins 
besondere der antiken Philosophie, und das richtig zu erfassende 
Christenthum. Das philosophisch-theologische Gespräch war durchaus, 
war einzig der Träger unseres geistigen Austausches mit ihm. Und 
das Ringen nach dem richtigen unmissverständlichen Ausdruck seiner 
theologischen Ueberzeugung Hess so wenig nach, dass er mir fast in 
jedem Briefe, und noch bei meinem letzten Besuch vor wenigen 
Monaten täglich die Ergebnisse seiner Meditationen vorlegte. Dennoch 
hat seine principielle Stellung schon früh sich befestigt, und früh auch 
war sein religiöses, wie sein sittliches Leben bereits geordnet und mit 
seinen Ueberzeugungen in feste Uebereinstimmung gebracht, mit einer 
Stetigkeit und Characterstärke, der kaum auf Momente vielleicht die 
Bändigung einer an sich heftigen Natur misslang. So war bei ihm 
Theolog und Mensch eins, so war er ein Mann und Character aus 
einem Guss. 
Wie aber war seine Theologie geartet? Er vertrat in der hiesigen 
theologischen Facultät das Fach der praktischen Theologie. Aber 
seiner eigentlichen Neigung nach stand er der systematischen Theologie 
am nächsten. Der historischen Forschung stand er ferner, und so sehr 
ihre Ergebnisse ihn interessierten, so war er doch selbst kein Freund 
der Detailforschung, aus der sie sich aufbauen. Ueberhaupt war er 
kein Mann des Details. Nur, wo es auf dem Wege seiner Pflicht lag, 
konnte auch er sich historisch wie geschäftlich richtig „einarbeiten“. 
Die historischen Partien seiner Vorlesungen gab er exact. Und als 
fermen Geschäftsmann kennt ihn sowohl die hiesige Stadtverwaltung 
wie die Universität. Viele Bogen von seiner Hand in unserem Stadt 
archiv beweisen es, und die gedruckten Berichte über seine drei Rec- 
torate, von denen die zwei ersten 1853 — 55 ihm auch die Geschäfte 
eines Curators auferlegten, sie zeigen, dass er, wenn es sein musste, 
auch den Ansprüchen des Büreau’s zu genügen wusste. Aber seine 
eigentliche Neigung führte ihn der idealen Gedankengestaltung zu. 
Hier war die Heimat seiner Theologie.
	        
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