Full text: (Band XXVI.)

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Fräulein T., eine feingebildete, 26jährige Dame von anämischer Constitution 
und lebhaftem, erregbarem Temperament, litt seit längerer Zeit an heftigen Schmerzen 
im 1 linken Hüftgelenk. Als sie am 22. Nov. in die Behandlung des Herrn Professor 
Dr. Petersen trat, musste sie bei ihrer Ankunft aus den Wagen getragen werden, 
da die heftigen Schmerzen das Gehen unmöglich machten. 
Im Jahr 1871 hatte das Leiden ohne äussere Veranlassung, unmerklich be 
gonnen, zu einer Zeit, in welcher sich Patientin durch geistige Anstrengungen sehr 
angegriffen fühlte. Sie fühlte Schmerz in der linken Hüfte und wurde von der Um 
gebung darauf aufmerksam gemacht, dass sie hinke. Der herbeigerufene Arzt 
verordnete ruhige Lage und Eis auf die Hüfte. Nach 6 Wochen wurde letzteres 
mit Jodbepinselungen und Einreibung von Pockensalbe vertauscht. Da Patientin auch 
über Rückenschmerzen klagte, wurde das Eis auf den Rücken applicirt und das Uebel 
für eine Entzündung der Rückenmuskeln erklärt. So lag die Kranke von Juli 1871 
bis Februar 1872. Nun wurde ihr gestattet an Krücken und ohne das Bein anzu 
setzen etwas umherzugehen, doch verbrachte sie die nächsten Monate meist in halb 
sitzender Stellung. Im Sommer, nach einjähriger Behandlung, war sie soweit hergestellt, 
dass sie mit Hülfe eines Stockes, längere Spaziergänge unternehmen konnte. 
Im October 1872 ging die Dame nach England. Im linken Bein hatte sie 
noch eine solche Schwäche, dass sie beim Treppensteigen einigemale zusammenbrach. 
Indess die Luftveränderung that ihr gut, sie musste viel gehen und fühlte sich nach 
einigen Monaten wohler denn je. Nur grosse Anstrengungen riefen Spuren des alten 
Leidens wach. Nach zu weiten Fusstouren genügte eine Nachtruhe zur vollkommnen 
Erholung; nicht so, wenn Ueberanstrengung durch geistige Arbeit, zu viele Gesell 
schaften etc. die Veranlassung gewesen waren. Im Sommer 1875 kehrte die Dame 
wieder nach Deutschland zurück, unterrichtete von October 1875 bis Ostern 1877, 
arbeitete nebenbei angestrengt für das Lehrerinnenexamen. Vier Wochen vor dem 
festgesetzten Termin stellte sich das alte Hüftleiden, ohne äussere Ursache, in nie 
gekannter Heftigkeit wieder ein. Nachdem 3 — 4 Tage lang leichte Schmerzen im 
Fuss (»als ob der Stiefel drückte«) vorhergegangen waren, entwickelten sich in wenig 
Stunden die heftigsten Schmerzen und das Unvermögen zu gehen. Letzteres wechselte 
in den nächsten 4 Wochen erheblich von Tag zu Tag. Sitzen und Fahren waren 
ebenfalls höchst empfindlich. Gleichwohl reist die Dame zu dem bevorstehenden 
Examen ab, macht 3 Tage lang alle Strapazen desselben durch, steigt treppauf, 
treppab und sitzt stundenlang auf einfachem Rohrstuhl. Der Rückschlag erfolgte
	        
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