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hochbegabte Volk der Athener hegte und pflegte diese Religion mit dem
andachtsvollsten und aufrichtigsten Eifer und die Eleusinischen Mysterien gehö
ren zu den heiligsten Institutionen des Landes.
Wir finden auf diese Weise in Hellas zwei sehr entgegengesetzte Religions-
standpuncte vertreten: den von Delphi und den von Eleusis. Diejenigen Grund-
affecte des menschlichen Geistes, welche in diesen Gülten gleichsam Gestalt ange
nommen haben, sind völlig ihrem Wesen nach verschieden. Der Apollinische Cultus
hält die Leidenschaft nieder, der Eleusinische regt sie aufs Aeusserste an. Wir
sehen nun zwar ein eigentlich feindseeliges Verhalten zwischen diesen beiden Religions-
standpuncten nicht ausgeprägt. Die Hellenen trugen gegen Alles, was sich für Re
ligion ausgab, eine unbegrenzte Scheu im Herzen. Allein dass ein sehr tiefgehender, wenn
auch unausgesprochener Gegensatz bestand, bezeugen manche Kennzeichen. Das spre
chendste Zeugniss für einen solchen Gegensatz ist die Erscheinung, dass die Tragödie ganz
aus dem Charakter der Dionysos-Religion, der sie ursprünglich angehört, in denjenigen der
Apollinischen übergegangen ist. Auch Pindar muss gegen die Culte, deren wesentlichstes
Element die Extase und Verzückung ist, sicherlich sich ablehnend verhalten haben. Er hat
zwar unzweifelhaft, wie seine Gedichte bezeugen, die weihevoll gemässigten Empfin
dungen von Schmerz und Jubel als Ausdruck der Theilnahme an jenen Herbst- und
Erühlings-Culten für durchaus unverwerflich gehalten und sogar selbst jene Götter
in Liedern in diesen Sinn gepriesen. Er hat Dithyramben gedichtet und preist
auch die in die Eleusinischen Mysterien Eingeweihten glücklich. Aber eine inner
liche Verwandtschaft mit diesen Gülten hat er nicht gefühlt. Es ist eine hierfür
charakteristische Erzählung aus dem Alterthume erhalten (Paus. 9, 23, 2), wonach
Eindar, der doch sonst allen Göttern seine Poesie weihte, dennoch bis an die letzten
Eage seines Lebens niemals einen Hymnus auf Persephone gedichtet haben soll.
Eie Göttin soll ihm kurz vor seinem Tode im Traum erschienen sein und ihm ange
deutet haben, dass auch sie nunmehr einen Hymnus zu ihrem Preise von Pindar ver
lange. Der Dichter fügte sich dem Verlangen der Gottheit; er starb aber am zehn
ten 1 age nach dieser Erscheinung.