Full text: (Band XXIV.)

Erster Theil. 
Historische Darstellung. 
§ i. 
Einleitung. 
Wenn die ganze Entwicklung des Völkerrechts eigentlich lediglich ein Product der neueren 
Zeit ist, wir aber doch schon im Alterthum und im Mittelalter nicht nur Ansätze zu einem wirklichen 
internationalen Rechte, sondern auch einzelne schon vollkommen fest ausgebildete völkerrechtliche 
Institute finden, so wird man bei der Untersuchung der historischen Entwicklung eines einzelnen 
Abschnitts des Völkerrechts, wie der Zufuhr s. g. Kriegscontrebandewaren an Kriegführende 
seitens Neutraler, besonders die Zeit seit dem Beginn des sechzehnten Jahrhunderts in’s Auge fassen 
müssen, daneben aber nicht umhin können, auch auf weit entlegenere Zeiten zurückzugreifen und 
nach Spuren zu suchen, die hie und da vielleicht auffindbar sind. 
Die vorchristliche Zeit bietet für unsern Gegenstand wenig. Freilich finden wir in den 
alten Classikern einige Stellen, in denen die Rechtsanschauung ausgesprochen wird, dass es den 
Neutralen erlaubt sei, den kriegführenden Parteien Kriegsvorräthc zuzuführen, oder sie mit solchen 
auszurüsten, wenn dies nur beiden Parteien gegenüber und ohne Bevorzugung der einen geschieht, 
So berichtet Thucydides *), als im Jahr 432 in dem korinthisch- korkyräischen Kriege beide 
streitenden Mächte sich um die Bundesgenossenschaft Athens bemühten, hätten die Gesandten der 
Korkyräer in einer Rede zu Athen sich beklagt: »uns stosst ihr von euch, jene aber . lasst 
ihr sogar aus eurem eigenen Gebiet ihre Kriegskraft verstärken; und das ist nicht recht.» Ferner 
erzählt Li vies 2 ), es habe zur Zeit der punischen Kriege der römische Prätor Lucius Aemilius den 
Tejern, die der carthaginiensischen Flotte Proviant zugeführt, gedroht, er werde sie als Feinde 
betrachten, wenn sie nicht der römischen Flotte eine gleiche Quantität Lebensmittel lieferten. 
Aber es ist klar, dass man aus derartigen vereinzelten Stellen auf eine allgemeine Rechts- 
anschauung im Altcrthum nicht schliessen darf. Die milde Auslegung des Beginnes der Neutralen 
in den beiden oben angeführten Fällen, erklärt sich weit leichter aus dem Wunsche, in einem 
heftigen Kriege von unsicherem Ausgang nicht unnöthigerweise neue Feinde sich aufzubürden, 
als aus der Anerkennung eines völkerrechtlichen Grundsatzes, für dessen Existenz zudem weitere 
Beweise uns nicht vorliegcn. 
') Thucydides, 1, 35- — 3 ) Livius, XXXVII, 28.
	        
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