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Geschichtliche Entwickelung der Lehre von der Myopie.
Der optische Charakter des kurzsichtigen Auges beruht auf einer Verlängerung der
Sehachse.
Kepler hat durch seine Versuche mit der Camera obscura und seine Untersuchungen
über die Wirkung concaver Gläser zuerst die Aufmerksamkeit hierauf gelenkt, und die ersten
Verdienste um die Feststellung dieses Satzes.
Bo er have führt noch als weiteres Merkmal eine stärkere Krümmung der Hornhaut
als im normalen Auge an. — Durch die Spiegelversuche an der Hornhaut ist von Cramer
und Helmholtz dargethan, dass die Cornea ihre Krümmung nicht verändere, und von Don-
ders durch zahlreiche Messungen uachgewiesen, dass die Hornhaut-Krümmung myopischer
Augen im Durchschnitt geringer sei, als die von emmetropischen und hypermetropischen Augen;
die Behauptung Boerhave’s und nach ihm anderer Forscher also hinfällig.
Was von dem Berechnungsindex der Hornhaut gilt, gilt auch insoweit von der Linse,
als dieselbe nicht grösser ist in kurzsichtigen als in Augen anderen Refraktionszustandes. Auch
diese Gewissheit verdanken wir Helmholtz und Donders.
Das Hauptmerkmal ist also allein die Verlängerung der Sehachse. — Wodurch nun
diese Verlängerung entstehe, ist Gegenstand vieler Untersuchungen gewesen und hat zuunanchen
Controversen Veranlassung gegeben. Doch erst seitdem der Mechanismus der Akkommodation
von den Herren Professoren, Hensen und Volkers genau erforscht und durch sie die Helm-
holtz’sche Theorie volle Bestätigung gefunden; seitdem in dem Lichte dieser Erfahrungen die
praktischen Ophthalmologen die vielfachen Befunde bei der Myopie studirt haben, beginnt das
Dunkel, das so lange die Aetiologie der Myopie umhüllte, sich zu lichten.
Arlt, ) welcher die Helmholtz’sche Akkommodations-Theorie nicht anerkennen wollte,
und welcher glaubte, dass der Druck sämmthcher Augenmuskeln auf den Bulbus die Akkom
modation, d. h. eine Verlängerung der Sehachse, auslöse, sagt über die Entstehung der Myopie:
„Anhaltende, oft, lange und in kurzen Zwischenräumen wiederkehrende Akkommodation,
und jugendliches Alter sind die Faktoren der Kurzsichtigkeit.“
Die anatomischen Veränderungen am hinteren Pole des Auges wurden zuerst von Scarpa
gefunden und von Ammon auf die Häufigkeit derselben aufmerksam gemacht. Doch erst Arlt
und Jaeger wiesen den Zusammenhang dieser Befunde mit der Myopie nach.
Lach ihnen und Stell wag ist das Staphyloma posticum angeboren und ein Zeichen
von schon bestehender Myopie, oder jedenfalls von Prädisposition für Myopie.
Nachdem der Augenspiegel in Gebrauch gekommen, wurde von Graefe und Donders
das Staphyloma posticum regelmässig als bei M. bestehend gefunden und von ihnen die Lehre
aufgestellt, es sei das Resultat einer Entzündung, der Sclerotico, -.Chorioiditis posterior, welche
Erweichung der Augenhäute zur Folge habe, und dadurch wieder Verlängerung der Sehachse
des Auges.
Die Lehre, die Donders über die Myopie und ihre Entstehung giebt, werde ich hier
da sie doch von so hervorragender Bedeutung, und, trotz ihrer Irrthümer, die Grundlage aller
späteren Forschung geblieben, in Kürze wiedergeben.
Bei den eingehenden Untersuchungen, die er in jedem Zweige der Anomalien der
Refraktion und Akkommodation angestellt, und den sorgfältigen Beobachtungsreihen, die er
giebt, muss es auffallen, dass wir in dem Gebiete der M. so vielen Irrthümern, nicht allein im
Raisonnement, sondern auch in der Beobachtung begegnen.
) Arlt: Die Krankheiten des Auges. Prag i863. Bd. 3. S. 240.