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seinen Studien leistete und die Opfer, welche er deshalb für seine eigene Büchersamm
lung bringen rnuste. Dazu gesellten sich sehr unerquickliche Verhältnisse, in die er
sich durch die politischen Parteikämpfe verwickelt hatte. So geschah es, dass ihn
trotz seiner gesegneten Lehrthätigkeit, trotz dem er schon unter dem 9. Mai 1866 vom
Könige zum ordentlichen Professor ernannt ward, trotz dem er sich am 20. Sept. 1867
zu Göttingen mit Fräulein Leonore von Bardeleben aus Cassel verlobte, eine tiefe
hypochondrische Verstimmung ergriff, für die er nur durch Versetzung von Greifswald
Heilung hofte. Und als sich durch H. v. Treitschkes Berufung nach Heidelberg im
Herbst 1867 eine Aussicht auf die Kieler historische Professur aufthat, geriet er in
eine so erregte Spannung, dass ihm das ruhige Arbeiten ganz unmöglich ward.
Am 28. Januar 1868 erhielt er die ersehnte ministerielle Anfrage, die ihn un-
gemein glücklich machte. Er solte in Kiel den Lehrstuhl einnehmen, den Dahlmann
und Waitz gehabt; auf eine Universitaet kommen, die er wissenschaftlich sehr hoch
stellte; er solte, da er dadurch eine bedeutende Gehaltsverbesserung erhielt, nun auch
ein Hauswesen gründen können und die lang ersehnte gemütliche Befriedigung zu
finden hoffen. Wehmütig berührte ihn nur der Abschied von seinen Zuhörern, die
seinen Weggang tief empfanden, und es rührte ihn, als einer derselben sich ihn zu
begleiten entschloss,
Mitte März 1868 verliess Usinger Greifswald und hielt noch im selben Monat
in Cassel seine Hochzeit. Irn April kam er mit der jungen Frau in Kiel an.
Durch Vermittelung eines alten Göttinger Freundes konnte er eine Wohnung
beziehen, die ihm in jeder Hinsicht behagte. Die schöne Lage Kiels, die freundliche
Aufnahme unter den Collegen, angenehme gesellige Beziehungen, die nicht unbedeu
tende Universitaetsbibliothek, alles erfüllte ihn mit einem wohligen Gefühle. Auch die
grössere Müsse war ihm zunächst nicht unangenehm, weil sie ihm Zeit für eigenes
Arbeiten gab. Aber die Kehrseite war freilich , dass diese Müsse durch die geringe
Theilnahme begründet war, welche seine Vorlesungen und Uebungen in Kiel fanden.
Es war sein Trost, dass ein grosser Theil der Collegen in ganz gleicher Art durch
den geringen Besuch der Universitaet und durch die traditionelle Beschränkung der
Studenten auf enge Fachkreise in der Entwickelung einer fruchtbaren Thätigkeit ge
hemmt waren. Usinger sah sich von grüner Aue auf dürre Haide versezt und die
resignirte Kieler Stimmung, die wol auch in desperate Aufregung übergeht, wenn ein
neuer Semesteranfang das alte Lied erneut, lag bleiern auch auf ihm. Es begegnete
ihm zum ersten Male, dass er Vorlesungen gar nicht zu stände brachte, dass er
wichtige Collegien vor der kleinsten Zahl lesen muste. Dann kamen die Kriegsjahre
1870—71, in denen unsere Frequenz so gewaltig sank, weil wir verhältnissmässig die
meisten Studenten zum Dienst im Felde und in den Spitälern stellten. Er war in
diesen Zeiten geneigt, trotzdem er sonst so gerne in Kiel lebte, jedem Rufe auf eine