In Greifswald las er von grösseren Privatcollegien
ältere und neuere deutsche Geschichte, Geschichte Europas vom 13.—16. Jahrhundert,
Geschichte der französischen Revolution von 1789—1814. Kleinere Vorlesungen waren
Einleitung in das Geschichtstudium, Quellenkunde der deutschen Geschichte (wobei
er besonders die Urkunden und Rechtsquellen behandelte), und über den Zustand
Europas vor dem Anfang der französischen Revolution.
In den Uebungen des Seminars liess er einen mittelalterlichen Historiker lesen
ünd nach seiner Glaubwürdigkeit prüfen. Immer zwei Seminaristen musten sich
vorbereiten: der eine hatte über die wichtigsten andern Geschichtsquellen, die dasselbe
Ereigniss berichten, Auskunft zu geben, der zweite die Ergebnisse der gegenwärtigen
■wissenschaftlichen Untersuchung vorzutragen. Am Schluss einer jeden Zusammen
kunft beauftragte Usinger dann einen dritten, in freiem Vortrag das nächste Mal das
zusammenzufassen, was bisher auf solchem Wege von ihnen gewonnen war. Regel
mässige schriftliche Arbeiten gab er nicht auf; aber es entstunden notwendig nach
Und nach grössere Untersuchungen, die dann als Doctordissertationen hervortraten.
Die erste derselben waren Ernst Meyers de Brunone I. archiepiscopo Coloniensi quae-
stiones.
Durch die amtliche Thätigkeit, zu welcher noch während der längsten Zeit die
Geschäfte hinzutraten, welche die wissenschaftliche Prüfungs-Commission auferlegte,
War Usingers Zeit ganz besezt und es blieb ihm zu seinem wachsenden Bedauern
geringe Müsse für eigene Arbeiten, Nur eine einzige, die Untersuchung über die
Lex Saxonum, entstund und zwar am Schluss des ersten Greifswalder Jahres. *)
Gegenüber der herrschenden Ansicht suchte er hier zu erweisen, dass diese lex eine
mangelhafte Privatarbeit sei, in welcher theils volkstümliches sächsisches Recht allein,
teils sächsisches und fränkisches Recht verschmolzen, theils bloss fränkische Be
stimmungen von zwei verschiedenen Verfassern zusammengestellt wurden. Der Wider
spruch, den namentlich K. v, Richthofen in seinem Buche Zur lex Saxonum (Berlin
1868) gegen diese Ansicht erhub, berührte Usinger empfindlich. Er fand indessen
auch sonst wenig Anklang.
Mit der Geschichte Kaiser Heinrichs IV., welche er für die Münchener histo
rische Commission übernommen hatte, beschäftigte er sich allerdings in Greifswald,
allein es blieben nur Vorarbeiten. Usinger empfand dies lebhaft, es drückte ihn.
Dazu kam, dass das behagliche Gefühl, welches er in den ersten Wochen daselbst
durch den überraschenden akademischen Erfolg empfunden hatte, bald hinter das der
wissenschaftlichen Vereinsamung zurückwich. Es fehlte ihm der anregende Verkehr
mit gleichstrebenden Historikern; dazu traten die geringe Hilfe, welche die Bibliothek
') Als „Ferienamusement“ betrachtete Usinger selbst nur einen kleinen Aufsatz über Thietmar von Merse
burg, d er unter dem Titel „Ein deutscher Bischof“ in Westermanns illustr. Monatsheften, Mai 1868, erschien.
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