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und dialektisch, wie alle menschlichen Dinge sind, zugleich wieder eine grosse Gefahr
für das Ganze, die Gefahr nemlich, dass der Organismus der Wissenschaft zerfällt,
der doch nur in der Einheit, und wesentlichen Zusammenfassung gedeihen kann.
Schon theoretisch angesehen hängen alle Wahrheiten mit allen innig zu
sammen; Eine dunkle, leere Stelle wirft alsbald ihren trübenden Schatten auch auf
die Umgebung, während jedes gewonnene Licht sogleich weiterhin Helle und Anregung
verbreitet. Noch viel wichtiger aber ist das praktische, im Verlauf geradezu sitt
liche Moment, das hier in Frage steht. Durch die allzuabschliessende Beschränkung
auf ein einzelnes Fach, durch die rück- und umsichtslose Pflege nur Einer Disciplin
bleibt von der in sich ganz und harmonisch angelegten Menschennatur ein gutes Stück
ohne Anbau und pflegende Kultur brach liegen. Rasch schiesst dann auf diesem leeren
Boden der spezifische Fehler aller und jeder Bornirung auf: Die Einbildung, welche
nur Sinn und Werthschätzung für das Eigene, für die Arbeit des näheren oder ferneren
Nachbars aber nur Geringschätzung, wo nicht gar Verachtung hat, als ob auf dem
reichen Feld des Geistes nicht viele, völlig unter sich gleichberechtigte Arbeiter er
forderlich wären. Auch wo das spezielle Fach noch wirklich wissenschaftlichen Sinnes
betrieben wird und nicht heruntersinkt zu der Banausie des „Brodstudiums“ — als
ob „der Menschengeist lebte von Brod allein* 1 ! —, droht hier die dringende Gefahr,
bei aller scheinbaren Blüthe der Wissenschaften direkt der Unkultur zu verfallen —
denn diese ist etwas wesentlich Praktisches, neben vielem Wissen und grosser Ver
standesbildung Mögliches: ihr innerstes Wesen ist die egoistisch bornirte, daher in
tolerante Einbildung, welche nichts Fremdes mehr aufrichtig achtet.
Gegen solche, schliesslich verderbliche Zersplitterung den möglichsten Gegen
druck auszuüben, wäre vor Allem die Philosophie mit ihrer universalen Bestimmung
und Tendenz berufen. Als „Liebe zur Weisheit“ überhaupt, als egoos, wie Plato so
sinnig sie mythologisch definirt, wäre es ihr Amt, direkt und indirekt als Band der
auseinanderstrebenden, nur in der Einheit vollkommenen Wissenschaften zu wirken.
Wer durch sie einmal den Blick und Sinn fürs Ganze der wissenswerthen Wahrheit
sich hat aufschliessen lassen, der wird ihn fortan behalten, auch wenn er sich einem
einzelnen Fach oder Berufszweig mit dervollen spontanen Kraft hingibt. Receptiv
wird er nicht minder für alles erreichbare Andere sich ein offenes, warmes Interesse
bewahren, was eben der Ehrenschmuck des wahrhaft durchgebildeten Geistes ist und
ob es auch keinen greifbaren d. h. sinnlichen Vortheil bringt. Stolzen Sinnes sprach
schon Aristoteles vornemlich von der Philosophie: Die reine ösu^lu ist das Schönste,
weil sie nichts „nützt“!
In dieser Ermöglichung und Anbietung einer mehr als einseitigen, sagen wir
immerhin einer gewissen philosophischen Bildung natürlich im weiteren Sinn des
Worts, lag bisher, wie schon der Name es andeutet, Werth und Ziel im deutschen
„Universität“ als einer universitas literarum. Sie ist keineswegs nur ein äusserliches