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Umblick den Begriff der Wissenschaft überhaupt als Eines untrennbaren Organismus
gegen alle Trübung klar zu stellen und das Gebiet dieses Kreises so in Segmente zu
theilen, dass jedes Fach nach seinem Recht und seiner Bedeutung im Zusammenhang
des Ganzen erscheint. Sondern die Philosophie hat in dieser Weise noch viel specieller
auf die einzelnen Fakultäten einzugehen und geradezu einer Jeden dienstwilliges
Interesse zu schenken. Weit entfernt z. B., dass sie zu der Naturwissenschaft einen
Gegensatz bildete, fallen vielmehr deren stets angewandte Grundbegriffe, wie Kraft,
Stoff, Kausalität, Eigenschaft u. A. geradewegs in ihren Ressort. Ebenso mag sie als
Philosophie der Mathematik nicht nur Raum und Zeit, sondern noch manche andre,
hier stets mit Recht voraussetzungsmässig wiederkehrende Momente behandeln. Sie
soll als Philosophie des Rechts, der Religion und ihre Geschichte, der Profangeschichte,
der Sprache zu den betreffenden Fachstudien den anregenden Beitrag geben; selbst
die verhältnissmässig jüngste und modernste Wissenschaft unserer Zeit, die National
ökonomie enthält formell an ihrem Werkzeug der Statistik, und materiell an mehreren
ihrer Grundbegriffe wesentliche Anknüpfungs- und Berührungspunkte zu philosophischer
Vorbetrachtung. So wenig ist die Philosophie nur etwa, wie man es empirisch oft ansieht,
ein Anbau an die Theologie, bezw. je nach Umständen und Geschmack ein Mauer
brecher von deren Tempel, wobei man statt der Philosophie in ihrem ganzen Umfang
offenbar stets blos an das Centrum Metaphysik denkt. — Von diesen förmlichen
philosophischen Fachdisciplinen abgesehen ist auch eine leichter geschürzte Anwendung
derselben sogar auf Tagesfragen Recht und Pflicht für sie, um in dem oft qualmenden
Gunst der Leidenschaften die Fackel ruhiger Erkenntniss nach Kräften zu leihen.
Eine solche „Wissenschaftslehre“ (im weiteren und freieren Sinn des
Worts) betrachte ich nun, ohne die anderen Theile irgend ignoriren zu wollen, als
die Hauptaufgabe, welche die Philosophie der Gegenwart in den
Vordergrund zu stellen hat. Es fällt mir dabei nicht von Ferne ein zu glauben,
dass diess eine neue, noch nie versuchte Aufgabe und Arbeit sei. Insbesondere hat
Hegel und seine Schule in jener auf geschlossene Ganzheit ausgehenden Energie es
versucht, die logisch - metaphysischen Grundgedanken rücksichtslos überall durchzu
führen und sämmtliche Partialwissenschaften in ihren Bereich zu ziehen. Freilich
stammt eben daher der Misskredit, in welchem gerade diess Verfahren steht. In
Ueberstürzung oder Ueberspannung des an sich richtigen Gedankens geschah es hier,
dass die principielle und darum nur vorbereitende Betrachtung unberechtigt über ihre
Grenze schweifte und die Fachwissenschaft bes. auf dem Boden des naturgemässen
Erfahrungswissens aus ihrer berechtigten Stelle drängte. Allein „abusus non tollit
usum“, und die selbst vielfach übertriebene Reaction gegen jene Uebertreibung kann
'ins an der Sache als solcher doch noch nicht irre machen.
Warum ich aber für angezeigt erachte, jene obige Kultur des immerhin schon
«lehr peripherischen Gebiets der Philosophie in unsrer Gegenwart besonders zu