Full text: (Band XXI.)

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wie anderwärts, ist es eine grössere Volksmasse, die hauptsächlich den niedern 
Schichten angehörig unter einem oder ein paar Anführern das Vaterland verlässt und 
diesen instinctmässig folgt, sondern es sind einzelne und z. Th. sehr vornehme und 
angesehene Leute, die an der Spitze ihre Familie und ihres Gefolges in voller Unab 
hängigkeit und mit vollem Bewusstsein der Motive ihrer Auswanderung nach der 
neuen Heimath ziehen. 
Die engere Bedeutung Islands liegt auf dem Gebiete des germanischen Alter 
thums, vor Allem zwar des nordgermanischen oder nordischen — und diese Bedeutung 
verdankt es seiner alten Literatur. 
Islands alte Literatur, ein Phänomen vom Standpunkte der allgemeinen Cultur- 
und Literaturgeschichte, sobald man sich die physischen Bedingungen des Bodens und 
Klimas vergegenwärtigt, unter denen sie entstand, sich ausbildete und zur Blüthe 
gelangte — diese Literatur ist eine historische und diess in zwiefachem Sinne. 
Sie ist zunächst in der eminenten Bedeutung des Wortes eine National 
literatur; durch die heimische Sprache, in der ihre Werke durchgehends verfasst 
sind, und durch die ganze Art ihrer Auffassung und Darstellung bietet sie ein so 
unmittelbares und scharf ausgeprägtes Bild des Volkes aus dem sie hervorging, dass 
das Germanenthum auf Island sich selber in ihr das beredteste Denkmal für die 
kommenden Geschlechter errichtet hat und dass, gleichviel welches der Inhalt ihrer 
Werke sei, wir schon in der sprachlichen und literarischen Form derselben die lauterste 
Quelle für die Kenntniss der isländischen Germanen und ihres innern Lebens nach 
den verschiedensten Richtungen hin besitzen. 
Sie ist aber auch nach ihrem Inhalte, nach den Objecten ihrer Darstellung, 
eine vorwiegend historische, indem ihre Werke — Dichtung wie Prosa — zum weit 
aus grössten Theile von der Vergangenheit, der näheren und entfernteren, ja von der 
entferntesten, Bericht erstatten. 
Die geschichtliche Kunde die sie uns erschliesst gilt vor Allem der isländischen 
Heimath und dem norwegischen Mutterlande. Wenige Völker können sich gleich den 
Isländern einer gleich vom Beginn ihrer Geschichte an so reinen und reichen Ueber- 
lieferung derselben rühmen, und Norwegens Geschichte würde in völliges Dunkel 
gehüllt sein, das ein paar lateinische Chroniken nur dürftig zu erhellen vermöchten, 
hätten nicht die Isländer sie zum Gegenstand sorgfältigster Erforschung und ausführ 
lichster Darstellung gemacht. 
Sie gilt aber nicht weniger den übrigen Nordgermanen und den Germanen 
überhaupt, und hierauf gründet sich noch ein allgemeinerer Werth der altisländischen 
Literatur. In demselben Grade, in dem sich ihre Berichte von dem engeren Kreise 
isländischer und norwegischer Geschichte über den weitern der nordischen und ger 
manischen Vorzeit ausdehnen, erweitert sich auch der Kreis der Theilnahme und des 
Interesses an jenen Berichten: die Isländer und Norweger sind es nicht mehr allein,
	        
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