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Hegel theilnahmlos blieb bei dem Kampfe, welchen damals das nationaldeutsche gegen
das wälsche Princip in der Musik mit Freischütz contra Olympia und abermals mit
Euryanthe contra Rossini auszufechten hatte — daraus machen wir ihm um so mehr
einen Vorwurf, als er sich auf Seite des Italieners stellt, dessen oberflächliche Musik
Hegel, obwohl er den erst 1829 componirten Teil, Rossinis bestes Werk, nicht einmal
vor Augen haben konnte, „gefühlvoll, geistreich und eindringend für Gemüth und
Herz“ nennt} Bezeichnungen, deren Widerlegung heute Niemand mehr unternehmen
würde, da die Zeit Rossini längst gerichtet hat.
Wie niedrige Anforderungen Hegel an die Musik stellt, beweist auch folgender
Satz von ihm: „Bei der regellosen Unruhe an einer table d’höte unter vielen Men
schen soll, da man es nächst dem Essen und Trinken mit der leeren Zeit zu
thun hat, die Leerheit ausgefüllt werden. Auch bei dieser Gelegenheit tritt die Musik
hilfreich ein.“ Um nicht den Schein auf uns zu laden, als wollten wir an der hehren
Gestalt Hegels rütteln, widerlegen wir diesen Ausspruch mit Vischers Worten:
„Wahrhaft barbarisch ist iafelrnusik. Der Genuss des Essens verträgt keinerlei gleich
zeitige Hebung in das Geistige als durch Gespräch. Die Musik scheint uns das Essen
wie eine Gemeinheit vorzuwerfen.“
Wenn endlich Hegel die Musik „nicht für fähig hält, durch sich selbst schon
Stimmungen des Muths und der Todesverachtung hervorzubringen,“ so kann Verf.
zum Beweise des Gegentheils seine Erfahrungen während des letzten Krieges anführen,
iäglich wurden die Colonnen durch Musik zum Marsche befeuert; wenn diese schwieg,
so hüben die Krieger an zu singen — die Gewalt der „Wacht am Rhein“ ist frisch in
Aller Gedächtniss. Zuletzt war es doch nicht der Inhalt dieses Liedes, der die Gemüther
begeisterte; von Schneckenburgers Dichtung kannten gewiss Tausende nur die ersten drei
Zeilen. Die Begeisterung hat eben nicht, wie Hegel voraussetzt, ihren Grund in klaren
Ideeen, sondern in substanziellen Gefühlen und dunkeln Regungen des Gemüthes; über
diese aber gebieten die Töne, und deren Macht war es denn auch, welche die deutschen
Truppen fortriss zu Kampf und Tod, wie wiederum gleichsam instinctiv das Gefühl
des Dankes für den errungenen Sieg nach Ausdruck rang durch einen Choral. Denn
nichts dürfte das Gemüth des Menschen frommer, heiliger stimmen, als Musik: sie
löst, sagt Solger, unser eigenes Bewusstsein in die Wahrnehmung des Ewigen auf.
Alle ihre verschiedenen Arten sind nur besondere Abstufungen und Anwendungen
der göttlichen Idee auf die Wirklichkeit; der innerste Sinn dieser Kunst ist die Gegen
wart der Gottheit und die Auflösung des Gemüthes in dieselbe.
Das eigentliche Wesen der Musik ist sonach in hervorragender Weise das
Religiöse. Ganz besonders steht diese Kunst auf jenem Urgründe, welchem alle Künste
entspriessen: der Kirche; ja, nachdem die ganze musikalische Kunst der Alten uns
spurlos verloren war, sehen wir die moderne Musik völlig selbständig da entkeimen,
woher uns auch das Christenthum gekommen ist, nämlich in Italien, in Rom. Die