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Kühne, den Heroismus, den Sturm und Drang des Lebens in seinem Muthe, seiner
Begeisterung für Freiheit und Vaterland; sie läuft durch den ganzen Cyclus des An-
muthigen von den einfachsten, gemüthlichen Tönen des naiven Schäferliedes an, das
Romantische, Rührende, Sentimentale findet in ihr lebendigen Ausdruck.
Ist es bei diesem grossartigen Umfange des Reiches der Töne zu verwundern,
wenn einzelne Aesthetiker die Musik über jede andere Kunst stellen? Grohmann z. B.
ruft aus: „Keine Kunst ist reiner, ideeller, geistiger, unmittelbar so aus dem reinen
Reiche des Geistes und Gemüthes hervorgehend, keine so mächtig, die unendliche
Vernunftfreiheit in dem unbeschränktesten Wesen darzustellen. Keine Kunst ist so
populär, so allgemeinverständlich, so eingreifend; keine kann so unmittelbar, so rein
das geistige Reich des Schönen darstellen als die Tonkunst.“ Sie theile, führt er dann
weiter aus, ihre Vorzüge mit der Dichtkunst; allein mit den Tönen würden wir in
eine endlose Welt geführt. „Scheint nicht in ihnen das Geisterreich mit uns zu
sprechen? Die Ufer des Diesseits sind wie abgebrochen; wir leben nur in einer
unendlichen Gefühls- und Ideeenwelt, in der Innenwelt eines freien Bewusstseins.“
Aehnlich, wenn auch minder exaltirt, urtheilt ßouterwek: „Keine Art von
Schönheit kann auf das innere Gefühl mit solcher Stärke wirken und so gewaltsam
das Gemüth mit sich fortreissen, als die musikalische.“ Und Schubart will den
Menschen eben so gern ein singendes Geschöpf, als mit Aristoteles ein redendes
nennen. Gleichermassen schreibt Eberhard seiner „Julie“ im 131. Briefe, dass der
dem Menschen innewohnende Trieb des Vergnügens sich bereits auf der untersten
menschlichen Entwickelungsstufe im Tone äussere, weshalb die Musik unter den schönen
Künsten den ersten Platz verdiene. Sulzer weiss viel zu erzählen von den „Würkungen“
der Musik und kommt zu dem Schlüsse, dass sie „an Kraft die anderen Künste weit
übertreffe.“ Er kann gewichtige Stimmen für seine Meinung anführen: die des Plutarch,
Plato, Aristoteles — auch Cicero stimmt dem Plato bei, nihil tarn facile in animos
teneros atque molles influere quam varios canendi sows, quorum did vix potest, quanta
sit vis in utramque quartern. Namque et incitat languentes et languefadt excitatos, et turn
remittit animos et turn contrahit — ganz wie Descartes sagt, der die Musik eigens ad
motus animi excitandos inventa nennt.
Das Urtheil des Kritikers der reinen Vernunft; „wenn man den Werth der
schönen Künste nach der Cultur schätze, welche sie dem Gemüthe verschaffen, so
habe die Musik unter den schönen Künsten insofern den untersten Platz, weil sie
bloss mit Empfindungen spiele,“ ist also gewiss unrichtig; fast gleichzeitig mit diesem
Ausspruche schrieb Herder: „Von der Musik muss jede Kunst, die am Sichtbaren
haftet, an innerer Wirksamkeit übertroffen werden, wie der Körper vom Geiste, denn
sie ist Geist. Was anschaulich dem Menschen nicht werden kann, wird ihm in ihrer
Weise mittheilbar: die Welt des Unsichtbaren.“ Und Forkel ruft enthusiastisch, „jede
Sprache der Welt sei zu arm, um Alles damit auszudrücken, was von dem hohen