Die Wissenschaft der Aesthetik in ihrer heutigen Form ist eine vergleichungsweise
juno-e. Zwar ist das, was die Seele, das Princip derselben ausmacht, — das Schöne,
die°Gestalt — schon von den Philosophen des Alterthums durchforscht und behandelt
worden, allein die akademische Disciplin der Aesthetik, wie sie jetzt gelehrt wird,
datirt erst seit neuerer Zeit. Selbst der Name war den Alten unbekannt : er ist von
der Erfindung Alexander Gottlieb Baumgartens, (eines Philosophen aus der Schule
Wolfs) der erst vor etwa 160 Jahren (17. Juli 1714) zu Berlin geboren wurde und,
48 Jahre alt, 1762 zu Frankfurt a. 0. starb. In ihm lernen wir den Gründer der
Aesthetik als einer systematischen Wissenschaft kennen, obwohl er dieselbe nur erst
in untergeordnet psychologischer Weise fasste. Sie war ihm nämlich nur ein einzelner
Theil der Theorie der Sinnlichkeit oder des „niederen Erkenntnisvermögens,“ während
die Logik sich auf das „höhere Erkenntnisvermögen“ beziehen sollte. „Aesthetic»“
betitelte er zwei, 1750—58 zu Frankfurt erschienene Bände, in denen er seine Regeln
aufzustellen begann; zwar hinderte ihn der Tod an der Vollendung seines Werkes,
aber der Name war gegeben: diesen hat die von dem Frankfurter Professor behandelte
Wissenschaft behalten bis auf den heutigen Tag, und da er durch Hegel (der erst
zwischen den Beziehungen „Aesthetik“ und „Kallistik“ schwankte, als er diesen Theil
seines Systems auszubauen begann) bevorzugt wurde, so wird er auch ferner, als
gänzlich befestigt, gelten müssen. .
Aesthetik, in dem jetzt allgemein anerkannten Sinne des Wortes, ist die Lehre
vom Schönen. „Vorn Empfinden“ müsste es vielleicht genauer heissen, doch man
hat sich gewöhnt, denjenigen Theil des Ganzen, welcher der menschlichen Natur
vorwiegend sympathisch ist und den man eben desswegen mit Vorliebe behandelt hat,
für das Ganze zu setzen, wobei man dann gleichsam nur gelegentliche Blicke in die
übrigen Gebiete des Empfindens schweifen lässt. An und für sich betrachtet würde
das Erhabene, das Furchtbare, das Hässliche u. s. w. mit dem Schönen gleiche Be
rechtigung auf wissenschaftliche Erforschung haben, aber da das letztere auf jede